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Frühmensch ein „Missing Link“? – Die Schulter von Homo erectus


Artikel als PDF-Datei (13 Seiten, 1118 KB, Stand: 24.08.2015)

Die fossilen Homininen lassen sich in eine nichtmenschliche und eine menschliche Gruppe unterteilen. Im Evolutionsmodell werden die nichtmenschlichen Homininen (Australopithecus u.a.) als „Vormenschen“ oder „Affenmenschen“ interpretiert. Dagegen repräsentieren die nichtmenschlichen Homininen im Schöpfungsmodell Arten eines oder mehrerer Großaffen-Grundtypen. Zu den menschlichen Homininen gehören die fossilen echten Menschen (Homo erectus u.a.) und der lebende Mensch. Sie repräsentieren im Schöpfungsmodell einen weiteren geschaffenen Grundtyp. Nur innerhalb von Grundtypen, aber nicht zwischen Grundtypen bestehen historisch-verwandtschaftliche Beziehungen.

Das postcraniale Skelett (Rumpf- und Gliedmaßenskelett) des fossil frühesten nachgewiesenen unbestritten echten Menschen Homo erectus aus Nariokotome/Kenia KNM-WT 15000 (1,55 Millionen Jahre datiert) wurde in nahezu allen Aspekten als menschlich modern beschrieben (Walker & Leakey 1993). Dagegen ist das Körperstamm- und Extremitätenskelett der Australopithecinen und von „Homo“ habilis in vielen Aspekten nichtmenschlich gebaut (Larson 2009, Green & Alemseged 2012, siehe Brandt 1995, 2013a, b, 2014).

Fossilmaterial, das einen Übergang von einer nichtmenschlichen postcranialen Australopithecus-Skelettmorphologie zu einer menschlichen postcranialen Skelettmorphologie demonstriert, fehlt. Die Paläanthropologin Susan Antón schreibt: „Wir verfügen über den Körper von Lucy [Australopithecus afarensis] und vom Jungen von Nariokotome [Homo erectus] und in der Lücke dazwischen über eine Menge von bruchstückhaftem Material“ (Gibbons 2007).

2007 publizierten Lordkipanidze und Kollegen in Nature neu entdecktes Skelettmaterial von Homo erectus aus Dmanisi/Georgien (1,77 Millionen Jahre datiert), das nach Auffassung der Autoren die (im evolutionstheoretischen Kontext) schmerzliche Lücke zwischen der Australopithecus-ähnlichen und der modern-menschlichen postcranialen Skelettmorphologie ausfüllen würde. Susan Antón deutet das Dmanisi-Material ähnlich: „Die bemerkenswert gut erhaltenen Dmanisi Fossilien … fallen in diese Lücke“ (Gibbons 2007).

Larson (2007, 2009) behauptet darüber hinaus, dass nicht nur der asiatische Homo erectus von Dmanisi, sondern auch der afrikanische Homo erectus von Nariokotome KNM-WT 15000 Merkmale aufweise, die auf eine Übergangsform von den Australopithecinen zum modernen Menschen hinweisen. Gegen diese Behauptungen erhob sich jedoch Kritik (Roach et al. 2013, Roach & Richmond 2015a).

In diesem Artikel wird zunächst auf die Arbeiten von Lordkipanidze et al. (2007) und Larson (2007, 2009) näher eingegangen. Danach werden diese Untersuchungen im Lichte kritischer Publikationen von Roach et al. (2013) und Roach & Richmond (2015a) bewertet und die Frage beantwortet, ob Homo erectus in bestimmten Merkmalen des Körperstamm- und Extremitätenskeletts als eine Übergangsform zwischen den Australopithecinen und dem modernen Menschen gedeutet werden kann. Auf der Basis dieser Untersuchungen können folgende Ergebnisse festgehalten werden:

  • Der Bau des Schulterblattes und des Schlüsselbeines von Homo erectus von Dmanisi/Georgien und Nariokotome/Kenia KNM-WT 15000 weist auf eine modern-menschliche Schulter hin. Die Schulterblattgelenkpfanne ist wie beim modernen Menschen zur Seite ausgerichtet. Das Schulterblatt von KNM-WT 15000 weist eine menschlich zur Seite ausgerichtete Spina scapulae mit einem Verhältnis von Fossa supraspinata zu Fossa infraspinata wie beim modernen Menschen auf (Larson 2007, Green & Alemseged 2012).
  • Form und Krümmung des Schlüsselbeines von Homo erectus sind ebenfalls menschenähnlich (Walker & Leakey 1993, Larson 2007, 2009, Voisin 2008).
  • Auch die relative Schlüsselbeinlänge des Homo erectus von Dmanisi und Nariokotome liegt im Variationsbereich des modernen Menschen.
  • Homo erectus besitzt als erster Hominine seit 2 Millionen radiometrischen Jahren mit einer modern-menschlichen Schulter und weiteren modern-menschlichen Strukturen wie z.B. einer hohen mobilen Taille und langen Beinen alle knöchernen Merkmale, die für effizientes Werfen mit hoher Geschwindigkeit und schnelles Laufen erforderlich sind.