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Propheten des Aberglaubens



Inhalt

Jochem Kotthaus:
Propheten des Aberglaubens – Der deutsche Kreationismus zwischen Mystizismus und Pseudowissenschaft.
LIT-Verlag Münster, 2003, 160 S:, 15,90 €, ISBN 3-8258-7032-4.


Ende 2003 erschien das Buch „Propheten des Aberglaubens„ des Diplom-Pädagogen Jochem Kotthaus. Die Richtung des Buches ergibt sich rasch aus dem Vorwort. Eine „äußerst wortgewandte Gruppe gläubiger Christen„ wolle „die Uhr der Biologiegeschichte um 150 Jahre zurück„ stellen. Biologisches Faktenwissen werde „geschickt dazu missbraucht„, dem Laienpublikum eine „Theo-Biologie„ einzuimpfen (S. 7). Formulierungen dieser Art durchziehen das ganze Buch. Kein Zweifel: Es handelt sich um eine Kampfschrift. Die Öffentlichkeit soll gewarnt werden: „Die … Argumentationsstruktur des Kreationismus ist … pseudowissenschaftlich und mystizistisch. Dies ist seine wahre Gefahr!„ (S. 146) Die ausgeprägt negative Haltung des Autors gegenüber Kreationisten wird schon im Titel „Propheten des Aberglaubens„ deutlich, aber auch im Buch selbst, wenn er z. B. auf S. 33 die Worte „Wissenschaftler„ und „Professoren„ bei Kreationisten in Anführungszeichen setzt, oder durch die Verwendung zahlreicher ausgeprägt abfälliger Formulierungen (z. B. die Bezeichnung eines Kreationisten als „Kettenhund„ auf S. 35).

Der Inhalt

Der Untertitel läßt eine spezielle Darstellung der deutschen Situation erwarten. Doch weit gefehlt. Es dürfte noch zu tief gegriffen sein, wenn man feststellt, daß mindestens die Hälfte des Buches sich mit Autoren und Positionen aus dem angelsächsischen Bereich befaßt. Dies ist überraschend, da der Autor selbst feststellt, daß die Situation in Deutschland anders ist als in den USA. Dennoch beschäftigt er sich über weite Strecken mit den Verhältnissen in den USA, die hierzulande nicht zutreffen.

Die folgenden Kommentare messen das Buch an seinem Titel, also daran, ob der „deutsche Kreationismus„ angemessen dargestellt wird.

Nach einigen Begriffsklärungen (Aberglaube, Pseudowissenschaft, Kreationismus) folgt eine ziemlich ausführliche Vorstellung einiger Kreationisten (von sieben Personen sind nur drei Deutsche). Es folgt ein Kapitel über den „Kreationismus im gesellschaftlichen Kontext„. Das Buch schließt mit einer Darstellung, wie der Kreationismus die Evolutionstheorie beurteilt. Kotthaus beschäftigt sich kaum mit Sachargumenten. Sein Interesse gilt hauptsächlich wissenschaftstheoretischen und theologischen, aber auch soziologischen Aspekten.

Pauschale Charakterisierungen und undifferenzierte Behauptungen

Kotthaus’ Buch ist durchsetzt mit pauschalen Charakterisierungen wie die Kennzeichnung des Kreationismus als „fundamental-christliche Wissenschaftsfeindlichkeit„ (S. 31). In kreationistischer Literatur würde sinnentstellend zitiert (S. 40). Der Kreationismus stelle die Evolutionstheorie regelmäßig in eine Reihe mit dem Faschismus (S. 87). Er würde seine Ansprüche geschickt verbergen (S. 88); mit dem Kreationismus gehe die Reise in den Gottesstaat (S. 90), aus Kreationismus resultiere „eine gesellschaftsweite Zwangsreligiosität und -moraliät, … eine fundamental-religiöse Diktatur„ (S. 114). Belege und Begründungen für solche schwerwiegenden und pauschalen Behauptungen sind dürftig oder fehlen ganz; sie wirken, wenn der Autor sie einmal äußert, an den Haaren herbeigezogen.

Wissenschaftstheoretisches

Kotthaus übt viel Kritik am Wissenschaftsverständnis, das in kreationistischer Literatur zum Ausdruck kommt. Er bemängelt eine zu starke Fixierung auf das Beobachtbare; Wissenschaft habe es jedoch auch mit Unbeobachtbarem zu tun. In der Tat ist das methodische Vorgehen im kreationistischen Schrifttum nicht selten undurchdacht und fragwürdig. Hier hat Kotthaus berechtigte Kritikpunkte genannt. Dies im einzelnen darzustellen, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen.

Allerdings argumentiert der Autor auch hier oft undifferenziert: „Die Inbezugsetzung von Wissenschaft und Glaube entspringt und/oder führt zu dem Gedanken des Lückenbüßer-Gottes„ (S. 17). Einerseits erläutert Kotthaus diesen Satz mit dem Hinweis, daß Gott durch Wissenszuwachs immer mehr verschwindet, wenn er der Lückenbüßer unverstandener Dinge ist. Das stimmt. Andererseits ist aber die Annahme eines Lückenbüßer-Gottes keine Folgerung aus dem Ansatz, Wissenschaft und Glaube zueinander in Beziehung zu setzen, wie der Autor im obigen Zitat meint. Kotthaus geht noch weiter und fordert, daß ein Eingreifen Gottes, ja selbst die Möglichkeit seines Wirkens, in wissenschaftlichen Überlegungen außer acht gelassen werden müsse (S. 144; Hervorhebung nicht im Original). Das läßt sich jedoch nicht wissenschaftstheoretisch, sondern nur weltanschaulich begründen, denn hier wird die Möglichkeit des Wirkens Gottes grundsätzlich ausgeschlossen.

Klärungsbedarf für die Schöpfungsforschung sehe ich zum Beispiel darin, wie mit der Tatsache, daß Gott eingreift (und wir oft nicht wissen, wann und wie das geschieht) methodisch umgegangen werden soll. Zum Beispiel wurde von anderer Seite der Kritikpunkt geäußert: Unter der Vorgabe einer Schöpfung könnten alle nur denkbaren Merkmalsmuster unter den Lebewesen verwirklicht sein, ebenso aber auch die Abwesenheit jeglicher Muster. Mit „Schöpfung„ könnten wir also jedes Merkmalsmuster oder auch dessen Abwesenheit erklären; das heißt, wir könnten gar nichts erklären. Dieses Beispiel soll hier nicht diskutiert werden; es soll nur zeigen, daß es nicht unmittelbar auf der Hand liegt, welche methodischen Vorgehensweisen folgen, wenn eine Schöpfung zugrunde gelegt wird.

Die Theologie von Kotthaus

Der Autor läßt öfter (eher zwischen den Zeilen) erkennen, daß für ihn in irgendeiner Weise Gott existiert; er argumentiert nicht allgemein gegen Religiosität. Seine eigene Sicht legt er zwar nicht explizit dar, einiges davon kommt aber in vielen Formulierungen zum Ausdruck. So vertritt er an zahlreichen Stellen eine strikte Trennung von Glauben und Wissen (S. 17), wobei Glaube sich nach Kotthaus wohl nur auf die Innerlichkeit der eigenen Psyche beschränkt (S. 24). Für wissenschaftliche Überlegungen spiele es „keine Rolle, ob Gott die Welt, das Leben und den Menschen in einem gewaltigen Akt schuf„ (S. 146). Seiner Auffassung nach können wir über Gott nichts wissen: „Wenn Gott existiert, dann ist er unfassbar„ (S. 146); wir könnten seine Natur nicht verstehen. Das ist eine Position, die völlig außer acht läßt, das Gott sich geoffenbart hat, abschließend und alles überbietend in Jesus Christus. Unausgesprochen lehnt Kotthaus damit jede Offenbarung ab; anders können seine Formulierungen nicht verstanden werden. Dazu paßt, daß es für ihn Aberglaube ist, wenn Christen auf Erhörung persönlicher Gebete hoffen oder glauben, daß Gott in persönlicher Not hilft (S. 16). Kurz: Gott hat bei Kotthaus in der Welt nichts zu suchen.

Die Motivation des „Kreationismus”

Kotthaus hat nicht verstanden, was Christen motiviert, die Evolutionstheorie kritisch zu hinterfragen und die Bibel in ihren naturgeschichtlichen und historischen Bezügen zur Geltung zu bringen. Zumindest kommen in seinem Ausführungen die wichtigsten und vielfach publizierten Gründe nicht vor, nämlich die heilsgeschicht-lichen Zusammenhänge, insbesondere gemäß Römer 5 und 8. Für einen Autor, der sogar Literatur zitiert, die diesen Punkt z. T. ausführlich thematisiert, ist das schon erstaunlich. Vielleicht hängt dies damit zusammen, daß Kotthaus eben nicht spezifisch die deutsche Situation beleuchtet, sondern faktisch mehr den internationalen Kreationismus, bei dem diese Motivation vergleichsweise zurücktritt.

Da der Autor die tatsächliche Motivation der Schöpfungsforschung nicht erfaßt und zudem von Vorurteilen gesteuert ist, spekuliert er über andere vermeintliche Gründe. Beliebt und auch bei Kotthaus zu finden sind die Mutmaßungen, es gehe den „Kreationisten„ darum, „Sicherheit„ zu finden, und es gehe um „Machterhalt„ (S. 73). Die Begründungen dafür sind sehr gekünstelt; im Falle des „Machterhaltes„ ist sie – besonders im säkularisierten Europa! – geradezu abwegig: „Dabei verhält sich der Kreationismus nicht nur abergläubisch und pseudowissenschaftlich, sondern reproduziert soziale sowie persönliche Machtstrukturen, Ungleichheiten und Benachteiligungen„ (S. 73).

Unbelegte, unbegründete Behauptungen und Strohmänner

Der Vorwurf, den Kotthaus an die Adresse des „Kreationismus„ richtet, dort würden viele Behauptungen quellenmäßig nicht belegt (S. 40), trifft in ausgeprägter Weise auf ihn selbst zu. Da ich einer der von ihm begutachteten „Kreationisten„ bin, kann ich dies entsprechend genau beurteilen. Über mich werden – neben einigen durch Zitate korrekt belegten Dingen – recht abenteuerliche Aussagen gemacht, für die der Autor keine Belege bringt; er kann dies auch nicht, weil es sie nicht gibt. Hier einige „Kostproben„ – oder besser gesagt: unwahre Aussagen: „Rein spekulativ könnte JUNKER annehmen, dass das Leben sich nicht aus einer, sondern aus einer Vielzahl von Urzellen entwickelt habe. Aus jeder dieser Entwicklungsreihen sei dann eine unterschiedliche ,Art’ entstanden„ (S. 77). Dergleichen habe ich nie gesagt oder geschrieben. Falsch ist auch folgende Passage: „Die Einführung Gottes in das wissenschaftliche Denken stellt für JUNKER jedoch eine Notwendigkeit dar, ein grundsätzliches und aus seinem christlichen Selbstverständnis zu erklärendes Merkmal des wissenschaftlichen Arbeitens. Ohne die Hinzufügung Gottes ist kein Theoriesystem JUNKERS komplett, d. h. es würde nicht angemessen seine religiösen Gefühle und Grundüberzeugungen ausdrücken„ (S. 77). Da der Autor an anderer Stelle meine Dissertation zitiert, könnte er es besser wissen. Gott selber kann natürlich nicht in ein Theoriensystem eingefügt werden. Das wird von mir oder anderen Mitarbeitern von Wort und Wissen weder behauptet noch durchgeführt. Hier wird mit einem Strohmann gearbeitet. Strohmänner finden sich an vielen Stellen im Buch von Kotthaus (z. B. S. 70, 71, 78f., 84, 87, 88, 122, 131 usw.).

Weiter: „JUNKER geht es jedoch nicht wirklich um eine Evolutionskritik, sondern um eine Bestätigung Gottes in der Wissenschaft, eine Machbarmachung biblischer Ereignisse unter Beibehaltung mög-lichst vieler wissenschaftlicher Versatzstücke„ (S. 77). Auch für diese Behauptung kann Kotthaus keine Quellenangabe anführen; es gibt sie nicht. Kein Wunder: Seit der Gründung von Wort und Wissen sind zahlreiche Publikationen erschienen, in denen im Gegenteil nachzulesen ist, daß Schöpfungsforschung eben nicht auf eine „Bestätigung Gottes„ oder einen Beweis von Schöpfung (S. 122) abzielt. Diese Reihe könnte fortgesetzt werden. Auch bezüglich anderer Autoren belegt Kotthaus seine Behauptungen nicht immer mit Quellenangaben.

Viele Kritikpunkte bringt der Autor ohne Begründung. Drei Beispiele: Der Ansatz von Michael Behe (es geht dabei um irreduzible Komplexität) sei wissenschaftstheoretisch wertlos (S. 36); der Ansatz des „Intelligent Design„ würde seine Unwissenschaftlichkeit gut verbergen (S. 36). „Wissenschaftlich ist Wilder-Smiths Hauptthese ohne Wert„ (S. 58).

Der Autor arbeitet mit falschen Gegensätzen und – wie schon erwähnt – mit Strohmännern. Auch dazu nochmals ein Beispiel: „Die Welt wird nicht mehr als gottgeben und unveränderlich, sondern als gestaltbar wahrgenommen„ (S. 30). Bei Kotthaus sind „gottgegeben„ und „gestaltbar„ fälschlicherweise Gegensätze; es ist ein Strohmann, daß die Welt aus biblischer Sicht unveränderlich sei.

Fazit

Der internationale Kreationismus stellt sich – abgesehen von gemeinsamen biblischen Grundüberzeugungen – als sehr heterogen dar. Kotthaus hat sich auf die extremen „Flügel„ des Kreationismus konzentriert, die er am besten kritisieren kann und die auch aus meiner Sicht in Teilen kritisierbar sind. Zum Beispiel: Es stimmt, daß manche „Kreationisten„ den Evolutionismus in eine Reihe mit anderen -ismen gestellt haben. Aber die Aussage „Der Kreationismus stellt … die Evolutionstheorie … regelmäßig in eine Reihe mit dem Faschismus oder einem diktatorischen Sozialismus„ (S. 87) ist in ihrer Pauschalität geradezu lächerlich falsch, insbesondere angesichts des Buchtitels, wonach es um den deutschen Kreationismus gehen soll. Kotthaus’ Analyse ist daher keineswegs allgemein zutreffend oder auch nur halbwegs ausgewogen, vielmehr zeichnet sich sein Buch durch eine Vielzahl von Pauschalisierungen (wie der soeben zitierten) aus, die kaum noch zu überbieten sind.