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Die Anwendung des wissenschaftstheoretischen Ansatzes der Systematisierung von Axiomen-Systemen


Am Beispiel der beobachtungsorientierten Kosmologie, die Thomas Portmann geschildert hat, möchte ich die Anwendung des wissenschaftstheoretischen Ansatzes der Systematisierung von Axiomen-Systemen zeigen, im Sinne des von Thomas vorgeschlagenen Ergänzungs-Modells.

 

1. Begriffserklärung: beobachtungsorientierte Kosmologie

Die beobachtungsorientierte Kosmologie ist eine Kosmologie, die sich ihrer wissenschaftstheoretischen Situation bewußter ist. Sie geht von der Grundfrage aus: Was ist – und was ist nicht – entscheidbar in der Kosmologie auf der Basis astronomischer Beobachtungen? Eine weitere Ähnlichkeit zur Biogenese und Evolution steht damit in engem Zusammenhang und besteht darin, daß weltanschauliche Prämissen auf das ganz konkrete Forschungsergebnis einen viel größeren, nämlich wesentlichen, Einfluß haben – im Gegensatz etwa zu naturwissenschaftlichen Disziplinen.

Diese weltanschaulichen Prämissen sind Axiome einer Vortheorie, die selbstverständlich in der Kosmologie wie in jeder anderen Theorie vorhanden sind, und die in der Regel nicht diskutiert werden. In den von Thomas Portmann genannten Untersuchungen von Ellis und anderen wurden sie explizit genannt, strukturiert und im Rahmen der Theorie bewertet (Um-Klassifizierung zur breiteren Absicherung). Dazu gehören hier (nur Kosmologie-spezifisch, allgemeinere Axiome zur Existenz und Struktur der Realität und Gottes Wort kommen noch hinzu):

  • Art und Weise, wie relevante (ideale) Beobachtungsdaten gewonnen werden – ggf. Allgemeine Relativitätstheorie

  • ggf. säkular: Kosmologisches Prinzip (räumliche Homogenitaet und Isotropie des Universums) (Alternative: Kugelsymmetrie)

  • ggf. schöpfungsorientiert: Junges Alter der Erde

Erst durch die Annahme des “Kosmologischen Prinzips” also reichen die Beobachtungsdaten hin, um eindeutig eine Kosmologie zu favorisieren.

Obwohl (oder vielleicht sogar: weil) man sich der vorbezeichneten problematischen Situation lehrbuchmäßig bewußt ist, bekommen die weltanschaulichen Prämissen einen das konkrete Forschungsergebnis und den Gang des Main-Streams prägenden Charakter. Die bestehende Ambivalenz wird langfristig genutzt, um sie in den weltanschaulichen Dienst zu stellen. Die Forschungsergebnisse stehen zwar genau genommen.

Natürlich werden die Daten in diesem weltanschaulichen Raster interpretiert. Auch wir werden darauf nicht verzichten wollen, wenngleich wir voraussichtlich an einigen Punkten eine andere Weltanschauung vertreten werden. Wichtig ist, daß diese Weltanschauung explizit als Vor-Theorie dargestellt wird.

Dabei ist es tatsächlich so, daß auch alternative restriktive Symmetrien für das Universum angenommen werden können, die den Zustand auf dem Rückwärtslichtkegel auf andere Weise extrapolieren und die Beobachtungsdaten auf ihre eigene Weise eindeutig und mehr oder weniger erfolgreich interpretieren – mithin auf eine Weise, auf die die Bemerkung von S. Weinberg ebenso zuträfe. So hat G. F. R. Ellis 1978 eine solche Alternative durchgespielt, nur um einmal auf diese Tatsache aufmerksam zu machen. Seine Alternative zum Kosmologischen Prinzip war ein statisches (mithin “ewiges”), kugelsymmetrisches Universum, in dessen Zentrum sich unsere Galaxie ungefähr befindet.

Gerade diese Möglichkeit zu konsistenten Alternativen ist ein Wesensmerkmal von Axiomen (Axiom und seine Negation sind konsistent, daher unentscheidbar). Wäre die Negation eines ‘Axioms’ widersprüchlich, dann hätten wir daraus den indirekten Beweis für die Richtigkeit der These gewonnen, und das Axiom würde zum herleitbaren Theorem. Aus der bloßen Negation vieler Axiome kann man allerdings oftmals nicht mehr viel herleiten, dazu muß die bloße Negation des ersten Axioms durch ein präziseres ‘Ersatz-Axiom’ konkretisiert werden. Beispielsweise kann die Negation des Kosmologischen Prinzips (also der Isotropie des Universums) ersetzt werden durch das Axiom einer Kugelsymmetrie, theoretisch denkbar wäre jedoch auch eine Achssymmetrie oder Ebenensymmetrie (wenngleich die Beobachtungsdaten dem widersprechen dürften..). Die Negation des kosmologischen Prinzips eröffnet jedenfalls die Möglichkeit für mehrere alternative Ersatz-Axiome, die nun zu prüfen sind.

Zwar haben die philosophischen Prämissen immer einen bestimmten Einfluß auf die Theorienbildung und die wissenschaftliche Methodik – und damit auch indirekt auf das Forschungsergebnis. Wenn die Methodik aber wirklichkeitsorientiert und wissenschaftstheoretisch einwandfrei ist, sollte sie nicht für das konkrete Ergebnis ausschlaggebend sein, sondern eher auf seinen Erfolg. Im Bereich der Physik z.B., wo man Zugriff auf relevante Experimente hat, habe ich auch nicht den Eindruck, daß es an wesentlichen Stellen solche ausschlaggebenden Auswirkungen gibt.

In der Physik genügen meist wenige Axiome für eine Vor-Theorie, da mit dem kontrollierten Experiment ein großer Bereich abgedeckt wird. Doch bereits die Quantenphysik zeigt den Bedarf auf, die Fragen nach physikalischer Realität neu zu klären, da sie Ereignisse kennt, die nachweislich IN RAUM UND ZEIT keine Ursache besitzen (entweder es gibt somit keine Tiefenrealität – Kopenhagener Interpretation – oder die Realität selbst ist tatsächlich unendlich-dimensional.. Damit befindet sich heute selbst die Physik weit im philosophischen Bereich, wobei das Denkverbot, das üblicherweise gelehrt wird, kaum eine endgültige Lösung sein kann).

2. Diskussion eines wissenschaftstheoretischen Ergänzungsmodells

Meiner Meinung nach könnte eine solche wissenschaftliche Handlungsweise, wie sie im vorigen Abschnitt schlaglichtartig angedeutet wurde, der Schöpfungsforschung zugute kommen.

Sehe ich genauso. Die Axiome der Vortheorie kommen auf den Tisch.

Was mir vorschwebt, ist eine Art “Ergänzungsmodell”: Weltanschauliche Vorgaben und Beobachtungsdaten ergänzen sich zu einem einzigen Bild und befinden sich sozusagen in Konkordanz zueinander.

Sie sind jeweils auf die Axiome einer einzigen Vor-Theorie zu reduzieren, und können auf dieser Basis ggf. diskutiert werden.

Im Idealfall würde die Wahrheitsbewertung im weltanschaulich bestimmbaren Teil durch die weltanschaulichen Prämissen allein geschehen, wohingegen im empirisch relevanten Teil die Beobachtungsdaten das Wahrheitskriterium abgäben. Weltanschauung und Empirie würden sich sozusagen “nicht gegenseitig ins Gehege kommen”. Es gäbe keine Widersprüche. Ein Rückschluß etwa von wissenschaftlichen Ergebnissen auf den Wahrheitsgehalt der weltanschaulich motivierten Prämissen wäre unmöglich.

Ich glaube nicht, daß es eine scharfe Trennung zwischen weltanschaulich motivierten Axiomen und empirisch motivierten Axiomen gibt. Das Problem ist schon angeklungen: Wie roh müssen Beobachtungsdaten festgehalten werden, damit sie wirklich frei von jeder Interpretation sind? Erst anhand der Vor-Theorie entscheidet sich ja, was an der jeweiligen Beobachtungs-Situation nun relevant und was irrelevant für die weitere Auswertung ist. Somit ist bereits das ‘feststellbare’ Ergebnis einer Beobachtung von der Vor-Theorie und den darin enthaltenen weltanschaulichen Komponenten abhänig.

Die Gretchenfrage lautet, was wir tun sollen, wenn der Nicht-Idealfall eintritt: Der Fall der Überbestimmung des Gesamtbildes durch empirische Fakten und weltanschauliche Prämissen. Folgt aus dieser Situation eine Wahrheitsbewertung der weltanschaulichen Prämissen?

Im Fall des Widerspruchs haben wir ein inkonsistentes Axiomensystem (in der Summe von Vor-Theorie und jeweiliger Theorie). Dies ist nur möglich, wenn die Axiome nicht voneinander unabhängig sind, sodaß aus einigen Axiomen die Negation eines anderen Axioms herleitbar ist. Damit muß zumindest eines der Axiome korrigiert werden, wobei die Entscheidung keinesfalls pauschal in einen bestimmten Bereich gelegt werden kann (Empirie oder Weltanschauung). Man wird entsprechend unserer Axiom-Klassifikation zunächst die Axiome der Theorie prüfen, dann je nach der Bedeutung, die wir ihnen zumessen, die Axiome der Vor-Theorie und die betrachteten Basis-Sätze (relevante Gegebenheiten, Beobachtungsdaten). Da auch unsere spezifischen weltanschaulichen Axiome meist durch eine Interpretation der Bibel entstanden, ist auch diese Interpretation auf ihre Richtigkeit zu prüfen, während wir die Richtigkeit dessen, was Gott in der Bibel tatsächlich sagen wollte, nicht in Frage stellen werden (unsere spezifische Vor-Theorie). Insofern können wir auch nicht generell unser Verständnis der Bibel über die empirische Erkenntnisse setzen, obwohl wir sie in Einklang bringen sollten.

Falls es aber trotz Überbestimmung der Unbekannten des Erkenntnisgegenstandes gar keinen Widerspruch gibt, sondern eine gegenseitige Bestätigung? – (Dieser Fall muß sorgfältig von dem Fall unterschieden werden, wo es mangels Überbestimmung, also aus prinzipiellen bzw. trivialen Gründen, keine Widersprüche geben kann!).

Im ersten Fall haben wir voneinander abhängige Axiome, also eines oder mehrere Axiome (weltanschaulich oder empirisch) kann aus anderen hergeleitet werden. Im zweiten Fall haben wir einfach ein konsistentes Axiomensystem, ohne Widersprüche und voneinander unabhängig. In beiden Fällen erhalten wir bei umfassender Übereinstimmung mit den relevanten Gegebenheiten (Basis-Sätze: Beobachtungsdaten, biblische Texte) eine konforme Theorie.

Meine Frage ist: Kann man den Fall der Überbestimmung (also den “Nicht-Idealfall”, wie ich ihn hier ad hoc nannte) guten Gewissens ausschließen? Ist eine Überbestimmung vielleicht a priori ein Indikator für eine falsche Exegese (Beispiel Luther, s.o.)? Dann wäre ja doch durch die Hintertür eine Dominanz der Empirie vor der Exegese eingekehrt. Oder muß eine echte Alternative her?

Die Frage, ob es prinzipiell möglich ist, daß es einen Widerspruch gibt zwischen richtigem Bibel-Verständnis und sauberer empirischer Beobachtung werden wir sicher verneinen. Gott handelt nicht anders, als er redet, sein Wort stimmt mit seinem Handeln überein. Von der Konsistenz der Ordnung der Realität geht ja auch die Wissenschaft aus, wir erweitern sie um das Axiom der Konsistenz mit Gottes Wort (Gottes Reden ist wahrhaftig). Bei der widersprüchlichen Überbestimmung hingegen müssen wir beides prüfen: Die Exegese und die Empirie. Beide können fehlerbehaftet sein.

3. Stufen einer schöpfungsorientierten Wissenschaft von Raffael Iturrizagas

Nach den Diskussionen auf der Fachtagung Physik/Kosmologie und dem Protokollnotizen von Reinhard Junker stelle ich meine nachfolgenden Thesen für eine biblisch-schöpfungsorientierte Wissenschaft (Physik und Kosmologie) zur Diskussion. Zugegebenermaßen ist diese Mail etwas umfangreich geworden, dennoch ich hoffe auf Reaktionen (Kritik, Fragen, Zustimmung, Ablehnung).

Alle der von Raffael Iturrizagas definierten Stufen einer schöpfungsorientierten Wissenschaft sollten bearbeitet werden. Auf der Fachtagung Physik/Kosmologie 97 wurden sie folgendermaßen skizziert:

STUFE 1: (Destruktive Kritik)

Lediglich Kritisierung bestehender Modelle unter Anwendung der üblichen, anerkannten Wissenschafts-Methodik.

Problem: Keine ‘wissenschaftliche Alternative’, geringes eigenes Profil.

STUFE 2: (Konstruktive Kritik)

Alternatives Schöpfungsmodell erarbeiten unter Anwendung der üblichen, anerkannten Methodik und Wissenschaftstheorie, ggf. unter Berufung auf Pluralismus als Wesensmerkmal aktueller Wissenschaftstheorie

Problem: Inkonsistent zu biblischen Inhalten? Gibt es überhaupt eine konsistente ‘rationale’ Erklärungsmöglichkeit, wenn Gott Wunder tut?

STUFE 3: (Radikallösung)

Alternatives Schöpfungsmodell und alternative Wissenschaftstheorie, die die Begrenztheit des menschlichen Denkens berücksichtigt, und ggf. auch die Bedeutung der Ethik, Folgen des Sündenfalls und die Einordnung von Wundern (Handeln Gottes und/oder Kausalität?) und Offenbarung betrachtet.

Probleme: Akzeptanz und Vereinbarkeit unserer Wissenschaftstheorie mit konventioneller Methodik? Ablehnung als Pseudo-Wissenschaft? Nicht-empirische Wissenschaft?

Nachdem es nicht einmal mehr eine allgemein anerkannte Methodik und Wissenschaftstheorie zu geben scheint, werden wir auch kaum auf dieser Basis mit logischen Argumenten für unsere Ansichten Gehör finden. Schon daher sind wir zu einem kompletten Neu-Ansatz aufgefordert! Um alle diese Stufen zu bearbeiten müssen insbesondere die Probleme der 2. und 3. Stufe geklärt werden. Dazu gehören dann insbesondere die Themen:

  • Neu-Definition einer allgemeineren Wissenschaftstheorie

  • Interpretation und Bedeutung biblischer Offenbarungen

  • Interpretation von Wundern im wissenschaftlichen Kontext

  • (die Art des Handelns Gottes in der Geschichte)

  • Physikalische Auswirkungen und Bedeutung des Sündenfalls

Erst darauf aufbauend kann konkret ein alternatives Schöpfungsmodell erarbeitet werden, eine neue Theorie, die die kosmologischen, geologischen und biologischen Zusammenhänge des geschichtlichen Werdegangs der Schöpfung beschreibt. Dabei halte ich den Entwurf eines kosmologischen Modells von Thomas Portmann für sehr vielversprechend.

4. Thesen von Dieter Egert

4.1   Neu-Definition einer allgemeineren Wissenschaftstheorie

Nachdem Poppers Kriterium der Falsifizierbarkeit sich in der Praxis nicht bewährt hat, und der bestehende Ansatz des Pluralismus für eine Wissenschaftstheorie unbefriedigend bleibt, bietet sich eine Chance für uns, eine alternative Wissenschaftstheorie vorzuschlagen. Darin sollten die seitherigen Forderungen zumindest teilweise eingeschlossen werden, aber darüber hinaus werden wir eine weitere Präzisierung anstreben, so daß dann beispielsweise geisteswissenschaftliche Disziplinen und insbesondere eine biblisch fundierte Theologie eine Berechtigung als seriöse Wissenschaft erhält. Die Definition der Wissenschaftlichkeit kann nicht nach dem betrachteten Gegenstand erfolgen, sondern vielmehr nach der Methodik. Ziel dieser Methodik ist dann nicht mehr die Unterscheidung von Wissenschaft und Religion (was unmöglich ist), sondern die Abgrenzung zu Pseudo-Wissenschaften.

4.1.1   Methodik der Wissenschaft

Die wissenschaftliche Methodik definiere ich in folgender Weise:

Definition:
Die wissenschaftliche Methodik besteht in der Systematisierung und Bewertung unseres Wissens von der Realität.

  1. Die Systematisierung erfolgt durch

    • Definition der Axiomensysteme jeder Theorie

    • Klassifizierung der Axiome (nach deren Diskussionsfähigkeit)

    • Elementar-Axiome aller ursächlichen, realen Gegebenheiten, die durch Theorien induktiv zu abstrahieren und beschreiben sind und die in keiner Weise diskutiert werden (‘Fakten’)

    • Axiome der Begriffs-Definition: Grundbegriffe, die nur durch ihren Gebrauch implizit definiert sind, da keine anderen Begriffe vorausgesetzt werden (Popper: ‘Universalien’, ‘Fakten’)

    • Axiome, die Vor-Theorie (wissenschaftl. Disziplin) charakterisieren, und alle für die Disziplin relevanten, realen Gegebenheiten definieren (z.B. Physik: ‘Alle Gegebenheiten und Ereignisse, die in Raum und Zeit lokalisierbar und durch Materie oder Energie zu charakterisieren sind’)

    • Axiome, die die Theorie selbst charakterisieren (z.B. Newtons Mechanik, Relativitätstheorie usw.)

    • Herleitung der wesentlichen Theoreme

    • Folgerungen (Popper: Basis-Sätze) aus Vor-Theorie und Elementar-Axiomen, die einer Menge von realen und (für die jeweilige Disziplin) relevanten Gegebenheiten entsprechen (von der Theorie zu induzierender Objektbereich). Bezüglich der Theorie sind sie eine infinite Menge vorläufiger Axiome in Form von konkreten, gegebenen Einzel-Situationen oder -Beobachtungen, die durch das finite Axiomensystem der Theorie induktiv zu abstrahieren ist.

    • Folgerungen (Theoreme) der Theorie (Induktion der Basis-Sätze):
      Jedes Theorem ist Repräsentant für eine infinite Menge von (im Sinne der Theorie) gleichartigen Basis-Sätzen. Eine aufgrund der Vor-Theorie relevante Gegebenheit besitzt stets irrelevante Details, sodaß sich die gleichartigen Basis-Sätze, die jedem Theorem zugeordnet werden, in diesen jeweils nicht-relevanten Details unterscheiden (z.B. Ort und Zeitpunkt eines chemischen Versuchs).

  2. Die (nicht umfassend mögliche) Bewertung erfolgt durch:

    • Konsistenz-Prüfung der Axiome der Theorie (Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems der Theorie)

    • Konformitäts-Prüfung der Theorie zur Vor-Theorie (Basis-Sätze) (Widerspruchsfreiheit zwischen Theorie und relevanten Gegebenheiten: Keinem Satz der Theorie entspricht zugleich mehr als ein Basis-Satz der selben Abstraktionsebene)

    • Optimierung des Axiomensystems der Theorie bezüglich

    • Vollständigkeit (jedem Basis-Satz entspricht ein Satz der Theorie: Maximierung der Mächtigkeit der Menge deduzierbarer Basis-Sätze)

    • Unabhängigkeit und Notwendigkeit der Axiome zueinander (Minimierung der Mächtigkeit des Axiomensystems)

4.1.2   Systematisierung wissenschaftlicher Theorien

Unter der Systematisierung verstehe ich eine bestimmte Form, in die Theorien zu bringen sind, da dies eine entscheidende Voraussetzung für eine vergleichende Bewertung konkurrierender Theorien bildet. Bei Theorien verhält es sich genauso wie überall: Zwei Dinge können erst dann miteinander verglichen werden, wenn sie in einer bestimmten Hinsicht gleichartig ausgerichtet sind. Um zu entscheiden, welcher Stab von Zweien der längere ist, müssen beide in der selben Richtung nebeneinander gehalten werden. Zwei Brüche können erst dann miteinander verglichen werden, wenn sie auf einen Hauptnenner oder einen übereinstimmenden Zähler gebracht wurden. So lassen sich auch Theorien erst dann miteinander vergleichen, wenn sie systematisch in eine vergleichbare Form gebracht wurden.

Die Systematisierung verfolgt darüber hinaus jedoch noch ein nicht weniger wichtiges Ziel: Sie erst erlaubt die eindeutige Identifizierung der Theorie, denn erst die systematisierte Theorie beschreibt zweifelsfrei, was sie nun wirklich aussagt und was sie nicht aussagt. Nur so wird sie überhaupt intersubjektiv nachvollziehbar. Wenn dieser Schritt nicht geschieht, laufen wir Gefahr, daß für jedes kritische Problem, das der Theorie vielleicht einmal entgegensteht, ad hoc neue Hypothesen formuliert werden. Damit können wir zwar vielleicht die aktuelle Schwierigkeiten lösen, doch wir verwenden dazu Aussagen, die seither in keiner Weise zur Theorie gehörten, und auch mit anderen Teilen der Theorie durchaus im Widerspruch stehen können, ohne daß dies bei jenem Erklärungsversuch sichtbar geworden wäre. Eine solche Theorie kann man nicht auf ihren Aussagen ‘festnageln’, solange sie sich darum windet, eindeutig Farbe zu bekennen. Damit fehlt ihr jedoch eine wesentliche Voraussetzung für jede Bewertbarkeit, und die Theorie verweigert sich demnach der wissenschaftlichen Methodik.

Wissenschaftliche Arbeit erfordert also die Klärung aller Annahmen, die zwar in die Theorie eingehen, die aber selbst nicht weiter hinterfragt werden. Axiome sind somit zugleich Rückgrat und Achillessehne jeder Theorie, denn:

  • Axiome sind nicht beweisbar, man muß sie annehmen und glauben

  • jede Theorie basiert zwangsläufig auf (logisch) unentscheidbaren Axiomen,

  • das Axiomensystem definiert die Menge aller Theoreme einer Theorie,

  • ein widersprüchliches Axiomensystem hat eine unbrauchbare Theorie zur Folge.

Tabelle 1: Tabelle zur Funktion und Bewertung verschiedener Axiom-Klassen (Bewertungs-Kriterien: Horizontal -> Konsistenz, Vertikal -> Konformität)

Da keine Theorie auf solche Axiome verzichten kann, obwohl sie unbeweisbar bleiben, müssen wir sie von den daraus abgeleiteten Folgerungen unterscheiden. Eine echte Wissenschaft wird bestrebt sein, ihre Axiome als solche herauszuarbeiten, plausibel zu machen und soweit möglich die Widerspruchsfreiheit zu zeigen.

Nur durch die formale Auftrennung einer Theorie in Axiome und Theoreme wird die wissenschaftliche Theorie einer intersubjektiven Bewertung zugänglich gemacht.

Diese Systematik kann als Grundlage jeder wissenschaftlichen Arbeit postuliert werden, da sie über die Naturwissenschaften hinaus ebenso in der Mathematik als auch in den Geistes- oder Sozialwissenschaften sinnvoll gefordert werden kann. Ziel der wissenschaftlichen Arbeit ist demnach zuerst die Benennung eines konsistenten Axiomensystems, das die Basis der Modellbildung der Theorie bildet. Diese Axiome sind genau jene Glaubenssätze, deren Wahrheit in der Theorie vorausgesetzt wurde, so daß eine Diskussion über konsistente, komplementäre Axiomensysteme (in denen eines oder mehrere Axiome der ersten Theorie verneint werden) nicht mit Mitteln der Logik zu entscheiden ist. Nur wenn man sich der axiomatischen Grundlagen bewußt ist, wird man auch eine derartige Patt-Situation erkennen, die Debatte auf eine entsprechende Ebene abstrahieren, und mit anderen Bewertungs-Verfahren weiterführen können.

4.1.3   Bewertung wissenschaftlicher Theorien

Mit der Konsistenz und Konformität werden verschiedene Aspekte der Falsifizierbarkeit untersucht. Denn es gibt sicher viele Theorien, die in sich selbst völlig widerspruchsfrei sein mögen, deren Konsistenz vielleicht sogar bewiesen wurde, und die dennoch einen Mangel haben:

Sie treffen nicht auf die realen Gegebenheiten zu, die sie beschreiben wollten. Ich unterscheide daher die logische Wahrheit (Konsistenz) von der realen Wahrheit (Konformität). Umgekehrt gilt jedoch der Erfahrungssatz (Axiom), daß jede real wahre Theorie auch konsistent sein wird, daß die Realität logisch geordnet ist.

Logische Falsifikation

Eine logische Falsifikation ist nur bei inkonsistenten Theorien möglich, während eine reale Falsifizierung bei mangelhafter Konformität zu den relevanten Gegebenheiten erfolgt. Eine formale Theorie ist überhaupt nur dann logisch falsifizierbar, wenn sie über formale Mittel zur Negation von Sätzen verfügt, sowie über Axiome, die genau diese Negationen für bestimmte Sätze herleiten. Somit kann nun auch untersucht werden, ob aus einem Axiomensystem zugleich ein Satz und seine Negation herleitbar ist, wodurch die Theorie widersprüchlich und logisch falsifiziert wäre. Die logische Falsifikation der Vor-Theorie ist analog dazu genau dann möglich, wenn eine Negation für die Relevanz realer Gegebenheiten formulierbar ist (worin ja die ureigenste Aufgabe dr Vor-Theorie liegt). Eine Falsifikation ist erfolgt dadurch, daß aus der Vor-Theorie herleitbar ist, daß eine reale Gegebenheit zugleich als relevant und als irrelevant für die Disziplin gelten würde. Möglicherweise werden einige Gegebenheiten nicht entscheidbar bleiben, da weder ihre Relevanz noch ihre Irrelevanz aus der Vor-Theorie herleitbar ist, so daß neue Axiome zu dieser Entscheidung notwendig werden. Doch es darf nicht beides zugleich herleitbar sein, denn dies wäre die logische Falsifikation einer inkonsistenten Vor-Theorie.

Reale Falsifikation

Die reale Falsifikation der Theorie schließlich ist dann gegeben, wenn zu einem Satz der Theorie nachweislich kein entsprechender Basis-Satz realer, relevanter Gegebenheiten existiert. Dies ist genau dann der Fall, wenn eine Prognose der Theorie nicht eintrifft. Da alle Prognosen einer konsistenten Theorie eindeutig sind, werden sie auch eine dementsprechende Aussagekraft aufweisen, und somit grundsätzlich falsifizierbar sein. Somit sehen wir, daß die Frage der Falsizierbarkeit mit der Klärung der Konsistenz und Konformität vollständig zu beantworten ist. Eine engere Auffassung von Falsifizierbarkeit durch bestimmte experimentelle oder empirische Formen (kontrolliertes Experiment o.ä.) kann nicht gefordert werden, da zu keiner konsistenten Hypothese je bewiesen werden kann, daß sie niemals experimentell zu entscheiden sei.

Eines der wesentlichsten Kriterien zur Bewertung und Optimierung einer wissenschaftlichen Theorie ist hingegen das vielzitierte Prinzip von ‘Occams Rasiermesser’, wonach bei mehreren Theorien, die den selben Objektbereich in gleicher Weise konform und konsistent beschreiben, diejenige zu bevorzugen ist, die mit der geringsten Zahl von Annahmen auskommt. Von Albert Einstein wurde dies sehr treffend formuliert:

Das letzte Ziel aller wissenschaftlichen Erkenntnis besteht darin, das größtmögliche Tatsachengebiet aus der kleinstmöglichen Anzahl von Axiomen und Hypothesen zu erhellen.

Dieses Bewertungsverfahren der Optimierung verfolgt zugleich zwei Zielgrößen: Das größtmögliche Tatsachengebiet (‘Vollständigkeit’ gegenüber den relevanten Gegebenheiten einer Disziplin: Ist wohl nie umfassend nachweisbar!) und die kleinstmögliche Anzahl von Axiomen (weitere Abstraktionen können jedoch für keine Theorie ausgeschlossen werden). Durch diesen Zielkonflikt sind diese Bewertungs-Kriterien nur in jenen Fällen in quantitativer Weise anwendbar, in denen eines der beiden Kriterien unverändert bleibt, oder beide zugleich verbessert werden. Für eine Theorie, die nur durch weitere Axiome einen größeren Bereich von Basis-Sätzen abdeckt besitzen wir somit kein umfassendes Kriterium. Hier bleiben wir auf ein undefinierbares Gefühl für die Angemessenheit dieser Axiome angewiesen.

4.1.4   Abgrenzung zu Pseudo-Wissenschaften

Mit der Forderung nach Systematisierung und Bewertung einer wissenschaftlichen Theorie gewinnen wir jedoch Kriterien zur Abgrenzung gegenüber solchen Pseudo-Wissenschaften, die sich weiterhin weigern, sich zu einem definitiven Axiomensystem zu bekennen, an dem sie gemessen werden können, oder die gar behaupten, vollständig und voraussetzungsfrei beweisbar zu sein (was schon logisch unmöglich ist):

  • Evolutionstheorie, deren einzig spezielles Axiom darin besteht, daß es keinen (materiell oder energetisch in Raum und Zeit handelnden) Gott gebe

  • Psychotherapie müsste die Weltanschauungen aufzeigen, aufgrund derer die jeweiligen Therapieformen ‘erfunden’ wurden, und aufgrund derer überhaupt eine Wirkung erwartet wird

  • ‘Alternative Medizin’ (z.B. Akkupunktur) müsste sich zu ihren Wurzeln in der chinesischen Philosophie bekennen

  • Homöopathie (bzw. Anthroposophie nach Rudolf Steiner) könnte nicht mehr ihre Religiosität leugnen (sie bezeichnet sich ja als Wissenschaft), wenn sie ihre Axiome formulieren müsste

  • usw.

4.2   Interpretation und Bedeutung biblischer Offenbarungen

Ohne näher darauf einzugehen möchte ich darauf hinweisen, daß es einen unmittelbaren Bezug des Wissens zur Religion gibt, ohne die kein Mensch leben oder handeln kann. Aus folgenden Definitionen (entsprechend dem heutigen Stand der vergleichenden Religionswissenschaft) wird zunächst klar, daß jeder Mensch ‘hoffnungslos’ religiös ist(!):

Religion besteht in einem (unbeweisbaren) Axiomensystem, das notwendig ist zur Begründung einer entsprechenden Ethik. Ethik ist jene letzte Entscheidungsgrundlage des Menschen, die notwendigerweise jede bewußte Handlung bestimmt.

Religion und Ethik sind also jene ‘Theorien’, die den eigentlichen Maßstab für unsere Entscheidungen bilden, und aus denen wir den Wert oder die Wichtigkeit einer Handlungsalternative ableiten. Damit wird auch folgende Herleitung verständlich:

Jede Theorie wird von einem (geglaubten) Axiomensystem bestimmt, jedes Axiomensystem wird von einer (intuitiven) Entscheidung bestimmt, jede Entscheidung wird von einem (subjektiven) Willen bestimmt, jeder Wille wird von einer (praktischen) Ethik bestimmt, jede Ethik wird von einer (wertbildenden) Religion bestimmt.

Darauf aufbauend können wir die Religiosität vieler heutiger ‘wissenschaftlicher’ Theorien klarstellen, ohne diese damit gleich als unseriös bezeichnen zu müssen. Offensichtlich beginnt jedes Wissen ja mit einem Glauben, und dieser kann und wird richtig oder falsch sein, und zwar auf jeder Ebene (nicht nur ‘materielle’ Glaubensinhalte erfordern eine eindeutige Entscheidung: pro oder contra). Aber eine offene Diskussion und Abwägung gegenüber dem jüdisch-christlichen Glauben kann uns dabei nur von Nutzen sein. Insbesondere werden wir als Christen eine für uns spezifische Vor-Theorie für eine Bibel- und Schöpfungs-orientierte Wissenschaft postulieren, die wir beispielsweise anhand der folgenden Axiome definieren:

  • Es existiert ein personaler Gott (absolut primäres Axiom, daher unbeweisbar: Es gibt nichts Höheres oder Sichereres, das als Grundlage für einen Gottes-Beweis dienen könnte)

  • Gott offenbart sich in der Bibel (Verbal-Inspiration: Gott schreibt mit jedem Wort, was er eigentlich meint, allerdings durch Stil und Ausdrucksweise der menschlichen Autoren)

  • Weitere grundlegende Axiomensysteme des christlichen Glaubens:
    Das christliche Grundverständnis entsprechend dem Apostolischen oder Nizänischen Glaubensbekenntnis

Die Bibel ist damit ebenso Teil der von uns zu betrachtenden und interpretierenden Gegebenheiten (Basis-Sätze), die wir nicht diskutieren, sondern voraussetzen. Zu diskutieren ist jedoch eine darauf aufbauende Theologie, in der sich unser Verständnis der Bibel zeigt, und in der wir uns (prinzipiell) irren können, da sie weitere Axiome erfordert. Diese Theologie kann selbverständlich von niemandem mitgestaltet werden, der selbst nicht von der Richtigkeit der Axiome unserer Vor-Theorie überzeugt ist, wie es eigentlich für alle wissenschaftlichen Disziplinen gilt. Die Bibel weist noch deutlicher auf diese Tatsache hin:

Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes. (1. Kor. 2,14)

Wenn somit ein Widerspruch zwischen unseren Beobachtungen (physikalische Gegebenheiten) und der Aussage der Bibel auftritt, dann gibt es genau zwei Alternativen zu einer Lösung: Entweder ist unsere Beobachtung falsch oder unsere Interpretation der Bibel. Eine andere Antwort können wir nicht zulassen.

In den Vorstellungen zur Wissensbildung denkt man meist über Abstraktion und Induktion nach, oder über neue Axiomensysteme und Theoreme, die sich daraus ergeben. Vernachlässigt wird dabei oft der ganz profane Aspekt, daß Wissen in der Regel durch Kommunikation vermittelt wird: Wir sind darauf angewiesen, daß wir zu einem guten Stück anderen Menschen glauben, die uns vertrauenswürdig erscheinen, und die vorgeben, etwas zu wissen. Dies ist eine elementare Komponente des Lernens. Die Aussagen eines Lehrers werden von uns wie Axiome angenommen, da sie bei weitem nicht vollständig bewiesen werden. Oder wer kennt schon einen Beweis dafür, daß die Antarktis existiert? Wem wurde bewiesen, daß Helmut Kohl derzeit der Bundeskanzler in Deutschland ist, oder die letzte Wahl gewonnen hat? In der Regel glauben wir die meisten Dinge einfach denjenigen, die sie uns mitteilen, und nehmen sie daraufhin schon als Gegebenheiten an! Aus dieser Sicht muß es nichts besonderes mehr sein, wenn wir auch den kommunizierten Aussagen Gottes Glauben schenken, der uns Dinge lehrt, die wir auf andere Weise nicht in Erfahrung bringen könnten.

Da in der Bibel schon immer die grundlegende Bedeutung des Glaubens betont wurde, und keine scheinbare Beweisbarkeit behauptet worden war, befinden wir uns mit dieser Methodik nun auf bestem wissenschaftlichem Boden, und können dies auch gegenüber Nicht-Christen darstellen und begründen!

4.3   Die Interpretation von Wundern im wissenschaftlichen Kontext

Wenn wir biblische Aussagen als historisch wahr betrachten, dann werden wir unweigerlich auf die Frage geführt, in welcher Weise Gottes Handeln mit den sonst beobachteten Gesetzmäßigkeiten der Physik zusammenwirkt. Immer wieder werden in der Bibel Ereignisse berichtet, die eben physikalisch unmöglich erscheinen, und die mit einem unmittelbaren Eingreifen Gottes erklärt werden. Aus christlicher Sicht ist zu klären,

  • ob Gott im alltäglichen (‘natürlichen’) Geschehen passiv bleibt,

  • ob die Natur eine autonom wirkende Realität ist, die von Gott zwar irgendwann einmal geschaffen wurde, die aber seither selbständig (kausal) abläuft, solange Gott nicht eingreift oder

  • ob es einen kategorischen Unterschied gibt zwischen einem direkten, wunderhaften und einem indirekten Handeln Gottes gibt.

Wir sollten daraufhin erklären, wie wir den Zusammenhang zur Wissenschaft sehen, denn die Existenz von Wundern führt bei unseren Zeitgenossen (bei einem bestimmten Verständnis von Wundern) zu folgenden Fragen und Problemen:

  • Die Gültigkeit der bekannten Naturgesetze scheint in Frage gestellt zu sein, es entsteht die Frage, ob die Natur überhaupt nach Gesetzmäßigkeiten funktioniert, wenn beliebige Wunder möglich sind

  • Wunder würden zwingend auf die Existenz Gottes hinweisen, der sieverursacht hat

  • Wenn wir (alle?) unerklärten Ereignisse als Wunder Gottes bezeichnen, wird uns vorgeworfen, daß wir damit nur die Existenz Gottes beweisen wollten, ohne dies wirklich zwingend belegen zu können (weitere Erkenntnisse könnten ja eine ‘natürliche Erlärung’ liefern) durch die vorschnelle Bezeichnung als Wunder Gottes eine weitergehende Wissenschaft und Klärung natürlicher Ursachen verhinderten (‘Wunder kann und muß man ja nicht weiter erklären’).

Folglich seien wir an Wissenschaft überhaupt nicht interessiert, denn sie beraube uns ständig um unsere Gottesbeweise, wenn sie seither unerklärbare Wunder als natürlich verursacht aufklärt.

Zu diesem Thema möchte ich auch auf das hervorragende Buch von C.S. Lewis hinweisen: ‘Wunder – möglich – wahrscheinlich – undenkbar?’ (1987 Brunnen-Verlag, Basel), auf das ich mich in vielem beziehe.

4.3.1   Begriffe

Zur weiteren Betrachtung ist es zweckmäßig, einige Begriffe zu unterscheiden:

  1. Naturgesetze
    Auf der einen Seite gibt es die ‘Naturgesetze’, die uns jeweils bekannt sind, und von denen wir wissen, daß sie stets nur eine Annäherung an die Realität selbst sein können.
  2. Reale Ordnung
    Andererseits muß es jene Schöpfungsordnung an sich geben, die tatsächlich und umfassend in der Realität gegeben ist, die wir jedoch niemals vollständig in unseren Naturgesetzen erfassen können. Sie ist jene Struktur der Realität, die von Gott hervorgerufen wurde. Da sie sich nicht nur in der Schöpfung zeigen muß, sondern ebenso in den heute beobachtbaren Ordnungen nenne ich sie im folgenden die Real-Ordnung.
  3. Realität
    Damit meine ich nicht nur das 4-dimensionale Weltall (was von manchen bereits als Kosmos, ‘All’ bezeichnet wird), unter der Realität verstehe ich alles von Gott geschaffene und alles neben Gott existierende (eigentliche Bedeutung von Kosmos), was auch geistige Dimensionen einschließt.
  4. Natur, Physik
    Die uns prinzipiell durch wissenschaftliche Methodik zugängliche Realität, die im wesentlichen durch die physikalischen Mittel beschrieben werden, die alle materiellen und energetischen Ereignisse in Raum und Zeit betrachten. Teilweise wird der Natur auch die geistige Dimension unseres Bewußtseins und des Lebens allgemein zugeschrieben, insoweit deren (metaphysische) Existenz für real gehalten wird.
  5. Übernatur, Metaphysik
    Die Unterscheidungskriterien zwischen Natur und Über-Natur entstehen also durch prinzipielle Begrenzungen unseres Bewußtseins: In unserer Wahrnehmung (ggf. Meßbarkeit), der Beeinflußbarkeit durch unseren Willen (präziser: gezielte Steuerbarkeit, erforderlich für das kontrollierte Experiment) und unserer Fähigkeit, die Realität überhaupt verstehen (und ggf. formalisieren) zu können. Wenn solche Grenzen irgendwo bestehen, dann erklären sie die Realität einer Übernatur außerhalb der ‘Natur’. Interessanterweise werden sich entsprechend der Kriterien mehrere unterschiedliche Grenzverläufe ergeben, und auch die Kriterien selbst sind weiter differenzierbar, wie schon angedeutet.

4.3.2   Eine ‘klassische’ Erklärung

Man könnte Wunder folgendermaßen auffassen:

Gott ist normalerweise passiv, nur bei einem Wunder wird er aktiv. Dabei setzt er die von ihm geschaffene Real-Ordnung und damit auch für uns erkennbar die Naturgesetze für eine bestimmte Zeit außer Kraft, vollbringt das Wunder, das völlig von den sonstigen Ordnungen abweicht, und überläßt dann das weitere Weltgeschehen wieder der üblichen Real-Ordnung, die wir durch die gewohnte Brille der Naturgesetze wieder nachvollziehen können. Nachdem er also sein Wunder getan hat, herrscht wieder die Natur selbst und autonom in Form der irgendwann einmal von ihm geschaffenen realen Ordnung, ohne daß Gott noch etwas aktiv dazu beiträgt. Gott ist nur während des Wunders aktiv gewesen. Anhand seiner Wunder wäre er dann zweifelsfrei beweisbar, da echte Wunder prinzipiell keine andere Erklärung zulassen. Ansonsten steht Gott außerhalb der Physik, und bewirkt bestenfalls geistige Erscheinungen, jedoch normalerweise keine physikalisch-natürlichen Ereignisse. Die Trennung der sichtbaren, natürlichen von der unsichtbaren, übernatürlichen Wirklichkeit bedeutet, daß beide völlig unabhängig voneinander bestehen, und sich gegenseitig nicht beeinflussen. Bestenfalls beeinflußt das Sichtbare das Unsichtbare (oder ruft es gar hervor: Gott ist dann eine Erfindung des Menschen).

Diese Folgerungen gehen von bestimmten Voraussetzungen aus, die wir als Axiome einer Vor-Theorie auffassen können:

Die Einheit von Natur-Gesetz und realer Ordnung muß stets gewahrt bleiben: Unsere Natur-Gesetze sind umfassende, ideale Beschreibungen der realen Ordnung. Daher kann Gott nur eingreifen, indem er beide vorübergehend außer Kraft setzt.

Jedes reale Ereignis wird durch ein anderes Ereignis kausal hervorgerufen: Sie besitzen in sich selbst die autonome Kraft, andere Ereignisse zu bewirken.

Die Realität, und selbst das menschliche Handeln ist durch eine physikalisch nachweisbare Kausalität determiniert. Daher kann Gott nur handeln, indem er diese universale Kausal-Kette der Realität (die er selbst irgendwann einmal hervorgerufen hat) unterbricht, und punktuell neue Ursachen einfügt, die selbst nicht physikalisch-kausal verursacht sind. Dies ist dann ein Bruch der realen Ordnung, ein echtes Wunder, das prinzipiell niemals wissenschaftlich nachvollzogen werden kann.

Offensichtlich steht diese Vorstellung stark unter dem Einfluß eines rationalistischen (a) und naturalistischen (b) Weltbildes, das sowohl mit der Bibel als auch dem heutigen Stand der Naturwissenschaft unvereinbar ist.

4.3.3   Entgegnungen und Alternativen

These: Die beiden obigen Axiome treffen ebensowenig zu, wie die Folgerungen.

Naturgesetze sind stets Annäherungen an die reale Ordnung. Ein Bruch der uns bekannten Naturgesetze kann durchaus im Einklang mit der tatsächlichen Real-Ordnung stehen, da nur unsere idealisierten Erwartungen gebrochen wurden, die an dieser Stelle eben nicht umfassend genug der Realität entsprachen.

Die Chaostheorie und die Quantenphysik lehrte uns, daß das reale Geschehen nicht durch nachvollziehbare Kausalketten in Raum und Zeit determiniert ist. Gewisse raum-zeitliche Ereignisse besitzen jedenfalls keine raum-zeitliche Ursache mehr. Im Fall der nichtlinearen chaotischen Systeme existieren Ursachen, die nicht mehr umfassend formalisierbar sind, sodaß sie aus diesem Grund unberechenbar werden (unendliche Komplexität).

Unsere Natur-Gesetze wurden durch unvollständige Induktion gewonnen: Wir haben keine Garantie dafür, daß sie immer und überall gelten, wir haben nur die Erfahrung wiederholt gesammelt, daß bestimmte Ereignisse in gewisser Weise gemeinsam zu beobachten waren. Damit KENNEN WIR keine völlig zwingende Implikation oder Kausal-Beziehung! Erfahrungswissen ist kein Erklärungswissen, es kann jederzeit durch eine neue, abweichende Erfahrung gebrochen werden. Selbst wenn wir hundertmal gesehen haben, daß die Glühlampe zu leuchten beginnt, sobald wir den Schalter betätigten, so haben wir dennoch keine Sicherheit, ob sie beim 101-ten mal wieder leuchten wird. Natürlich versuchen wir, immer genauer und vollständiger die Voraussetzungen herauszufinden: Es muß auch die Sicherung eingeschaltet sein, der Glühfaden darf nicht gerissen sein, der Strom darf nicht ausfallen und vieles mehr. Doch niemals erreichen wir die Garantie, daß wir alle Voraussetzungen kennen.

Wenn nun jedoch eine der Voraussetzungen darin bestünde, daß Gott will, daß diese Glühlampe leuchtet (mein Wille ist ja auch notwendig, um den Schalter einzuschalten..), und er dies seither eben immer wollte, so könnte er es doch in irgend einem Fall einmal nicht wollen. Damit fehlt eine notwendige Voraussetzung für das Aufleuchten der Birne, und entsprechend den realen Kausal-Ordnungen (die durch den Willen Gottes geordnet sind) und entgegen unseren physikalischen Gesetzen wird sie dunkel bleiben.

Gott handelt stets in geordneter Weise: Alles was er tut, ist vollkommen, nicht regellos-willkürlich. Wenn er Wunder tut, stehen diese in Einklang mit seinem ewigen Heilsplan, zu dessen Verwirklichung er auch die Physik erfunden hat. Der Heilsplan ist somit eine abstraktere, allgemeinere Theorie, er ist die reale Ordnung selbst, während die Physik nur ein Spezialfall davon ist, den wir unmittelbar erforschen können. “Loben sollen sie den Namen Jahwes! Denn er gebot, und sie waren geschaffen; und er stellte sie hin für immer und ewig; er gab ihnen eine Satzung, und sie werden sie nicht überschreiten.” (Psalm 148,5-6)

Wenn Gott eine reale Ordnung geschaffen hat, nach der die Ereignisse der Wirklichkeit (für uns teilweise nachvollziehbar, in Theorien verstehbar und planend beeinflußbar) zusammenwirken, dann muß er seine eigene Schöpfung sicher nicht brechen: Sie wird ihm dienen, und nicht seinem Willen in irgendeiner Weise widerstehen. Er hat Mittel und Wege, seinen Plan zugleich wunderbar als auch innerhalb der von ihm gesetzten Schöpfungsordnung durchzuführen. Allerdings werden wir mit unserer primitiven, naturwissenschaftlich gewonnenen Erwartung dabei manchmal sehr überrascht, und der Bruch unserer Natur-Gesetze weist uns auf einen Schöpfer hin, der die Real-Ordnung besser beherrscht als wir.

Wenn Gott sich völlig passiv verhalten würde, würde NICHTS mehr geschehen. Jede Realität existiert nur dadurch und solange, wie er dies haben will und aktiv am Existieren erhält. Würde er sich ganz zurückziehen, so würde die Schöpfung in Nichts zerfallen:
“Denn durch ihn sind alle Dinge geschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen. Und er ist vor allem, und alles besteht durch ihn.” (Kolosser 1,16-17) “Denn aus ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge! Ihm sei die Ehre in Ewigkeit! Amen.” (Römer 12,36) “er, der .. alle Dinge durch das Wort seiner Macht trägt, hat sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt,” (Hebräer 1,3)

4.3.4   Weitere Folgerungen für die Handlungsweisen Gottes

Naturgesetze sind die von uns beobachtbaren Regelmäßigkeiten im Handeln Gottes. Das Gesetz, durch das er handelt ist für uns zugleich die Voraussetzung dafür, überhaupt etwas verstehen oder planen zu können. Würde Gott regellos und willkürlich handeln, so könnten wir nichts über die Zukunft wissen oder erwarten, wir müssten ‘der Dinge harren, die da kommen’.

Es gibt keine kategorische Unterscheidung zwischen ‘echten’ Wundern und ‘natürlichen’ Ereignissen. Wenn Gott ein Wunder tut, dann ändert er nicht plötzlich seine Handlungsweise, sondern er handelt weiterhin völlig konform zu der eigentlichen, von ihm hervorgerufenen Ordnung. Ein Wunder ist daher nichts ‘besonderes’, denn alles was Gott tut kann als Wunder bezeichnet werden, ob das nun spektakulär ist oder nicht. Der Übergang vom Wunder zum Gesetz ist also fließend. Jedes Ereignis können wir sowohl für einen ‘normalen’ Vorgang wie auch als Wunder auffassen. Je mehr jedoch unsere Erwartungen überrascht werden, desto größer erscheint uns (und ist) das Wunder. Für Gott dürfte das zwar keinen Unterschied machen, doch liegt einer seiner wesentlichen Gründe, Wunder zu tun, sicher darin, daß er sich als persönlich handelnder (liebender und barmherziger) Gott offenbaren möchte. Dies ist nur dann möglich, wenn wir ihn in seinem Handeln anerkennen.

Für Menschen, die nicht ‘unter dem Gesetz leben’, sondern ‘unter der Gnade’ zeigt sich das Handeln Gottes in einer besonderen Weise. Alle Dinge (!) müssen ihnen dann zum Besten dienen, auch alle ‘Zufälle des Lebens’, denn auch sie stehen unter der Herrschaft Gottes:

Das eine aber wissen wir: Wer Gott liebt, dem dient alles, aber auch wirklich alles zu seinem Heil, denn dazu hat Gott selbst ihn erwählt und berufen.
Römer 8,28 (Hoffnung für Alle)

Selbst bei gleicher statistischer Verteilung gewinnen die Ereignisse eine andere Bedeutung für das Wohl des Einzelnen, da der Vorteil für den Menschen nicht an einem isolierten Ereignis entschieden werden kann. Was schlecht aussieht, kann sich als großer Nutzen erweisen und umgekehrt. Gott gibt jedoch jedem Ereigniss die verheissene Bedeutung.

Wenn Gott Wunder tut, dann handelt er oft durch ‘Zufälle’, die für sich gesehen äußerst unwahrscheinlich oder auch für uns unerklärlich sind, wenn sie auch weiterhin der eigentlichen Real-Ordnung Gottes entsprechen. Doch auch seltene Dinge geschehen ja immer wieder, ohne daß sie deshalb für ein Wunder gehalten werden. Statistisch relevante Abweichungen von unseren gewohnten Naturgesetzen können wir erst dann erwarten, wenn man in die Wahrscheinlichkeitsrechnung mit einbezieht, daß diese Ereignisse immer gerade dann auftreten, wenn sie irgendwie mit der Person Gottes in Verbindung gebracht wurden, durch Gebete o.ä. Auf diesem Wege verherrlicht er sich selbst in diesen Wundern, und zeigt sich gegenüber seinem sonstigen Handeln durch das (Natur-)Gesetz als Person.

Dennoch bleiben sie meist ein ’empirisch’ unbeweisbares Handeln Gottes, ein Axiom. Der Glaube kann auch in diesen Situationen nicht erzwungen werden. Wer einfach nicht glauben will, obwohl er eine Totenauferstehung miterlebt, der darf weiterhin an einen großen Zufall glauben, der dies verursacht habe. Gott läßt ihm seinen Strohhalm, an den er sich klammert (‘Fehldiagniose: War noch nicht tot, der Leichen-Gestank kam woanders her..’). Jedenfalls ist eine Totenauferstehung nicht so einfach reproduzierbar, zumal der Wille Gottes nicht reproduzierbar von uns kontrolliert werden kann.

Weiter: Seit der Entwicklung der Thermodynamik, Chaostheorie und der Quantenphysik beruht unser physikalisches Weltbild wesentlich auf statistischen Verteilungen, die die determinierenden Naturgesetze der Newtonschen Mechanik praktisch überall ersetzten. Es ist damit sogar möglich, daß wir viele Wunder als extrem unwahrscheinliche, aber physikalisch dennoch nicht völlig ausschließbare Ereignisse auffassen. Es würde zwar immer noch unserer (makroskopischen, statistischen) Erwartung widersprechen, nicht jedoch unseren Natur-Gesetzen auf mikroskopischer Ebene. Ein Stein, der sich ohne jeden Grund plötzlich nach oben bewegt, kann dies theoretisch durch eine zufällige, gleichgerichtete Brownsche Molekularbewegung aller seiner Moleküle tun. Für die Umwandlung von Wasser in Wein müssten durch statistische Tunnel-Effekte gewisse Kernverschmelzungen und Kernspaltungen erfolgen und anderes mehr. Nun ist damit nicht gesagt, daß alle Wunder auf diesem Wege erklärbar sind, doch es eröffnet den Blick dafür, daß Gottes Handlungs-Möglichkeiten in Übereinstimmung mit unserer Physik schon dadurch fast unbegrenzt sind, wenn er derjenige ist, der den quantenmechanischen Zufall steuert. Vielleicht werden wir in einigen Jahren manche dieser Wunder für ähnlich ‘wahrscheinlich’ halten wie jene Resonanzkatastrophe, die möglicherweise Jerichos Mauern zum Einsturz brachte, oder die Wüstenpflanze, die für Israel das Manna lieferte. Das Wunder bleibt indes ein Wunder: Gott hatte angeordnet, was Israel bei Jericho tun sollte, denn Mose hatte sicher keine Ahnung von Schwingungslehre. Die Wunder geschehen nur dann, wenn Gott dadurch verherrlicht wird und er die Ehre bekommt. Sonst regiert er durch seinGesetz.

4.3.5   Der Untergang der Titanic

Nehmen wir noch ein Beispiel. Betrachten wir einmal den Untergang der Titanic. War dies ein Wunder oder ein Zufall (falls diese Unterscheidung möglich wäre)? Immerhin wurden ja zum Stapellauf große Töne gespuckt:

Nichteinmal Gott könne dieses Schiff zum Sinken bringen, hieß es. Doch man hätte Gott besser nicht herausfordern sollen. Das Schiff sank nach der Kollision mit einem Eisberg, obwohl es mehrere getrennte Kammern besaß, von denen nur wenige ausgereicht hätte, das Schiff vor dem Untergang zu bewahren. Doch zu viele Kammern wurden zugleich aufgerissen und das Schiff sank. Wir können nun wählen:

  1. War es ein ‘echtes Wunder’, physikalisch nicht völlig erklärbar,

  2. war es ein ‘zufälliges’ Ereignis, physikalisch noch zugelassen,

  3. war es ein ‘natürliches’ Ereignis, physikalisch notwendig, unter Berücksichtigung von Kurs und Masse von Schiff und Eisberg oder

  4. war es ein geplantes Ereignis, das von Gott hervorgerufen wurde?

Die Antwort bleibt jedenfalls wieder eine Glaubensfrage: ein Axiom. Der Atheist wird auf den Zufall oder die physikalische Notwendigkeit bestehen, auch wenn er eine zufällige und unwahrscheinliche Koinzidenz zwischen der Verlästerung Gottes und dem Unglück annehmen muß. Der Christ wird das Handeln Gottes erkennen, der in allem alles erfüllt. Darin eingeschlossen sind zugleich auch die Erklärungsmöglichkeiten b) und c). Wir erkennen also durchaus die Ausrede des Atheisten an, doch es ist eben nicht NUR ein zufälliges, natürliches Ereignis, da wir hinter jedem Zufall und hinter jeder Natur Gott als den eigentlichen Wollenden sehen. Selbst die Wunder, die Jesus tat, konnten die Schriftgelehrten nicht überzeugen. Sie wollten nicht glauben, und Gott lässt diese Alternative jedem offen, der ihn nicht annehmen will. Er muß dann an einen blinden, unerklärbaren und unwahrscheinlichen Zufall glauben.

4.3.6   Folgerungen für christliche Wissenschaft

Es ist uns in keiner Weise verboten, das Handeln Gottes zu erforschen. Im Gegenteil: Das Gebot, uns die Erde untertan zu machen, schließt den Forschungsauftrag mit ein. Wenn wir dies in der Verantwortung vor Gott tun, dann werden wir auch über die Folgen unseres Forschens nachdenken, also über einen möglichen Mißbrauch unserer Ergebnisse, und insbesondere auch den Zweck und unsere Motivation vor Gott prüfen. Hierin liegt dann die moralische Grenze für das, was wir tun sollten (auch dafür, welchen Forschungsgegenstand wir untersuchen sollten), nicht aber für unser Wissen:

“Brüder, werdet nicht Kinder am Verstande, sondern an der Bosheit seid Unmündige, am Verstande aber werdet Erwachsene.” (1Ko 14:20)

Dementsprechend dürfen wir alles erforschen, was uns zugänglich ist. Auch jene Dinge, die uns als Wunder erscheinen können durchaus teilweise wissenschaftlich erklärbar sein, ohne daß damit das Wunder als solches entwertet würde. Ein ‘großes Wunder’ ist nicht jenes, das wir aus irgendeinem Grund nicht erforschen *dürfen*, sondern das wir einfach nicht verstehen *können*. Unsere Unfähigkeit, die wir daran immer noch erforschen können (und sollen) wird uns auf die Größe Gottes hinweisen.

Wissenschaft beraubt uns demnach nicht um unsere ‘Gottesbeweise’, sondern öffnet uns die Augen für das Wunderwirken Gottes.

5. Verwendung des Begriffs von Axiomen

Aus den seitherigen Gesprächen (Fachtagung Wissenschaftstheorie) habe ich entnommen, daß meine Verwendung des Begriffs von Axiomen etwas unklar geblieben ist. Darüber habe ich mir nun einige Gedanken gemacht, die ich hier zusammenfassen möchte.

5.1   Herleitung und Gewißheit

Eine Herleitung oder ein Beweis ist ein Verfahren, mit dem gezeigt wird, daß ein Satz dieselbe Gewißheit besitzt, die bereits bestimmten anderen Sätzen zugeordnet wurde. Über die Höhe der Gewißheit ist damit noch nichts gesagt. Die Gewißheit aller Sätze muß schließlich auf eine endliche Menge von Anfangssätzen zurückgeführt werden, den Axiomen einer Theorie. Alle Herleitungen (Theoreme) besitzen eben denselben Grad der Gewißheit wie die zugrundeliegenden Axiome. Diese erhalten ihre Gewißheit stets durch den (mehr oder weniger intuitiven) Glauben an ihre Richtigkeit. Doch Axiome sind bei weitem nicht immer trivial oder unmittelbar einsichtlich. Viele Beispiele der Mathematik und der Physik können dies belegen.

5.2   Relative und absolute Axiome

Hier zeichnet sich bereits ab, daß wir zwei unterschiedliche Aspekte oder auch Arten von Axiomen unterscheiden sollten. Bei den einen, nennen wir sie absolute oder konstitutive Axiome, geht es um die geschilderte, unmittelbare Gewißheit, daß ihre Interpretation tatsächlich zutreffe.

Definition: Ein absolutes Axiom ist eine interpretierbare These, der eine Gewißheit zugeordnet wird, die nicht von der Gewißheit anderer Axiome hergeleitet wurde.

Diese Definition bezieht sich also auf die Interpretation der These, unabhängig von allen Theorien, zu denen die These nun evtl. konsistent oder auch widersprüchlich sein könnte.

Wenn wir andererseits von der Interpretation eines Satzes absehen, so wie es die Mathematik bei der Untersuchung formalen Theorien tut, dann spielt auch die Gewißheit keinerlei Rolle mehr. Hier werden Sätze untersucht, die nach den Regeln einer Grammatik als ‘wohlgeformt’ bezeichnet werden, und die durch Herleitungs-Regeln zu anderen wohlgeformten Sätzen umgeformt werden können. Die Axiome einer formalen Theorie sind solche Sätze, die anhand der gegebenen Theorie weder bewiesen noch widerlegt werden können. Da dies jeweils nur in Bezug auf eine bestimmte Theorie gilt, nenne ich sie relative Axiome. Dies ist aber keine Eigenschaft eines Satzes an sich. Es läßt sich leicht zeigen, daß es zu jedem Satz konsistente Axiomensysteme oder Theorien gibt, aus denen er herleitbar ist, und andere Theorien, zu denen derselbe Satz ein neues relatives Axiom ist. Weiterhin ist die Gewißheit eines relativen Axioms schon deshalb völlig unbestimmt, weil man es aus der Theorie ja gerade nicht herleiten oder widerlegen kann. Relative Axiome können beliebig negiert oder auch ausgetauscht werden, ohne daß die jeweiligen Bezugs-Theorien dadurch inkonsistent werden. Das klassische Beispiel dafür ist die nichteuklidische Geometrie, die durch Negation eines Axioms der euklidischen Geometrie konstruiert wurde. Dennoch gibt es für beide Geometrien sinnvolle Anwendungen (Interpretationen) in der Physik.

Beide Arten von Axiomen sind in einer bestimmten Weise Gegebenheiten für Theorien und unser Wissen:

Relative Axiome sind bestimmte wohlgeformte Sätze, die ‘logischen’, unentscheidbaren Gegebenheiten einer formalen Theorie.

Absolute Axiome sind bestimmte interpretierbare Sätze, die ‘realen’ Gegebenheiten einer Theorie, deren unmittelbarer Grad von Gewißheit gegeben ist, und so die Entscheidung der entsprechenden relativen Axiome einer Theorie herbeiführt.

Zu den absoluten Axiomen in diesem Sinne gehören nun eine ganze Reihe von Aussagen: Neben den Urteilen a priori sind auch Definitionen unentscheidbar, oder jene Grundbegriffe (Universalien), die so grundlegend sind, daß sie für jede andere Begriffsdefinition vorausgesetzt werden, sodaß sie selbst nicht mehr explizit definierbar sind, und nur durch ihren Gebrauch erklärt sind. Absolute Axiome sind auch die Grundlage der Glaubenssätze von Religionen, Weltanschauungen, wissenschaftlichen Schulen und Paradigmen, die Definitionen einer wissenschaftlichen Disziplin, sowie der harte, undiskutierbare Kern einer Wissenschaft, der einfach vorausgesetzt wurde. Nicht zuletzt gehören auch alle Annahmen und Hypothesen zu den absoluten Axiomen, solange sie nicht entschieden sind. Selbst empirische Beobachtungen, die man gerne als Fakten bezeichnen würde, beruhen im wesentlichen auf Axiomen. Eine voraussetzungsfreie Empirie ist tatsächlich eine Fiktion.

5.3   Definition einer 4-wertigen mathematischen Logik

Wir gehen von einer infinite Menge wohlgeformter Sätze aus, nämlich denjenigen, die den Regeln einer Grammatik entsprechen, unabhängig von jeder möglichen Bedeutung. In der Grammatik sei jedoch unter anderem ein Ausdrucksmittel definiert, das wir Negation nennen. Unter den Sätzen nun sei eine endliche Menge von Anfangssätzen (Axiomensystem) ausgezeichnet, sowie Herleitungs-Regeln zur Bildung neuer Sätze aus bekannten Sätzen. Die (infinite) Menge aller Sätze, die aus den Anfangssätzen hergeleitet werden können, bezeichnen wir als eine formale Theorie. Von den Anfangssätzen und den Regeln hängt es ab, ob die Theorie konsistent (widerspruchsfrei) ist oder nicht. Inkonsistent ist eine Theorie genau dann, wenn zu einem Satz der Theorie auch dessen Negation herleitbar ist. Man kann darüberhinaus zeigen, daß in einer inkonsistenten Theorie jeder beliebiges Satz hergeleitet werden kann(!). Gegeben sei nun ein weiterer wohlgeformter Satz, der als These bezeichnet wird, und für den zu klären ist, in welcher Beziehung er zu dem gegebenen Axiomensystem der formalen Theorie steht. Untersucht wird die Konsistenz der formalen Theorie, wenn man sie um die These oder um die Negation der These (Anti-These) ergänzt. Dabei gibt es 4 Kombinationsmöglichkeiten:

  • (relatives) Axiom
    Das relative Axiom ist eine These, die in einer formalen Theorie unentscheidbar ist. Genauer gesagt: Sowohl diese These als auch die Anti-These bleibt widerspruchsfrei zu den anderen Axiomen der Theorie, sodaß sowohl die These als auch die Anti-These weder bewiesen noch widerlegt werden können.
  • Theorem
    Das Theorem ist eine logisch wahre These. Sie ist zwar widerspruchsfrei zur Theorie, doch ihre Anti-These steht im Widerspruch zu den Axiomen. Wird also die Anti-These zu den Axiomen hinzugefügt, so entsteht eine inkonsistente Theorie.
  • Anti-Theorem
    Das Anti-Teorem ist eine logisch falsche These. Sie ist widersprüchlich zu den Axiomen der Theorie, während die Anti-These der falschen These konsistent ist.
  • Antinom (‘Paradoxie’)
    Diese definiere ich als solche Thesen, die ebenso wie ihre Negation stets inkonsistent bezüglich einem gegebenen Axiomensystem bleiben.

Beispiel:

‘Dieser Satz ist falsch’ (der Satz ist weder wahr noch falsch..!).

Antinome sind also ebenso unentscheidbar wie Axiome (und werden manchmal mit diesen verwechselt), doch sie machen eine Theorie in jedem Fall inkonsistent, denn auch ihre Anti-These ist widersprüchlich.