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Wo irrt die Bibel? Bild der Wissenschaft und das frühe Israel – eine Stellungnahme




Wieder einmal hat sich die Presse bibelkritisch zur Entstehungsgeschichte des frühen Israels gemeldet und zwar in der renommierten Zeitschrift Bild der Wissenschaft (Dez. 2005).1 Mit einem Beitrag unter dem provokativen Titel „Wo die Bibel irrt“, wurde der Leser bereits zu Anfang aufgeklärt:

„Dank archäologischer Funde werden immer mehr Berichte [in der Bibel] in das Reich der Sagen verbannt …“ (S. 56)

Der Autor Michael ZICK basiert seine Argumente hauptsächlich auf Interviews mit drei deutschen Wissenschaftlern: Prof. Ulrich HÜBNER aus Kiel, Prof. HERMANN NIEMANN aus Rostock (beide primär Alttestamentler) und dem Archäologen Dr. Gunnar LEHMANN aus Beerscheba. Diese bibelkritischen Argumente sind jedoch nicht neu und liegen nahe bei den Ansichten des Tel Aviver Professors Israel FINKELSTEIN, der bereits 2001 mit seinem Bestseller The Bible Unearthed (dt. Keine Posaunen vor Jericho – 2002) Schlagzeilen machte.2 In mehrere Abschnitte unterteilt, geht ZICK der Geschichte von den Anfängen bis zur frühen Königszeit unter David und Salomo nach.

Da wir in der Vergangenheit bereits wiederholt auf mehrere dieser Argumente eingegangen sind, sollen hier exemplarisch auf zwei Hauptargumente eingegangen werden.3

Inhalt

  1. Kein Auszug und keine Landnahme?
  2. Kein Großreich Salomos?
  3. Fazit
  4. Anmerkung

1. Kein Auszug und keine Landnahme?

Abb.: Ägyptisches Alabastergefäß aus Jerusalem (mit freundlicher Genehmigung des Ècole Biblique, Jerusalem; Foto: R. Wiskin).

Gleich zu Anfang schockiert der Autor mit dem Zitat HÜBNERS: „Da ist niemand eingewandert aus Ägypten“ (S. 58). Obwohl HÜBNER dies selbst anscheinend nicht wirklich wahrhaben will (später sagt er, dass vielleicht eine Sippe unter Führung Moses aus Ägypten ausgewandert sein könnte [S. 75]), haben er und seine Kollegen ein echtes Problem erkannt, das auf den ersten der Bibel zu widersprechen scheint.

Die Kultur der Einwohner der Bergdörfer im Bergland Palästinas am Anfang der Eisenzeit (ca. 1200 v. Chr.) ist kaum von der Kultur der davor liegenden Periode (die der Spätbronzezeit II) zu unterscheiden. Waren frühere Archäologen der Meinung, dass die Israeliten unter Josua um 1200 v. Chr. in Kanaan eingewandert waren und sich im Bergland angesiedelt hatten, so hat sich nun herauskristallisiert, dass diese Bergbewohner bereits damals seit vielen Jahren in Kanaan gewohnt hatten. Aus biblischer Sicht jedoch muss uns dies nicht verwundern. Denn die Bibel selbst datiert den Auszug um 1450 v. Chr. (s. 1.Kön 6,1) und die Landnahme (nach 40-jähriger Wüstenwanderung) um 1410 v. Chr. (Ri 11,26). Wie wir im Buch Keine Posaunen vor Jericho? dargelegt haben, gibt es Hinweise dafür, dass die militärische Eroberung Kanaans durch die Israeliten nicht am Ende der Spätbronzezeit (um 1200 v. Chr.), sondern bereits am Ende der Mittleren Bronzezeit (zw. 1600-1500 v. Chr.) stattgefunden hat.3,4 Damals wurde die ummauerte Stadt Jericho tatsächlich zerstört und auch das gesamte Bild der befestigten Städte Kanaans passt gut zu dem, was wir aus der Archäologie über diese Zeit wissen. Durch eine chronologische Verkürzung von ca. 200 Jahren aufgrund einer zu hohen ägyptischen Chronologie kann das Ende dieser Epoche auf das biblische Datum um 1400 v. Chr. nach unten verschoben werden.5 Auch haben wir dargelegt, dass es 1. Hinweise dafür gibt, dass die Israeliten tatsächlich in Ägypten waren (so wurden z.B. vorderasiatische Siedlungen von Halbnomaden im Ostdelta entdeckt)6 und dass 2. „Israel“ möglicherweise bereits in einer Inschrift aus der Ägyptensammlung in Berlin um konv. 1400-1300 v. Chr. in Kanaan belegt ist (d.h. vor 1200 v. Chr. = vor Anfang der Eisenzeit).7

Unserer Meinung nach waren die Bewohner der Bergdörfer am Anfang der Eisenzeit nicht die Israeliten aus der Zeit Josuas, sondern die Bauern und Viehzüchter der früheren israelitischen Königszeit, die bereits seit mehreren Jahrhunderten im Land gewohnt hatten.8 Bei einer chronologischen Verschiebung würde sich die Zeit der Bergdörfer (konv. 1200-1000 v. Chr.) auf das späte 11.-9. Jh. v. Chr. verschieben. Damals wurden die Städte in der Küstenebene und in den Tälern von Philistern, Ägyptern und plündernden Aramäern bedroht (z.B. 1Sam 31,7; 1Kön 11,23ff.; 14, 25ff.; 20,23ff. usw.). Die Bewohner der Städte könnten also damals in den abgelegenen Bergregionen Unterschlupf gefunden haben.9

2. Kein Großreich Salomos?

Um 1000 v. Chr. eroberte König David die Stadt Jerusalem (S. 62). Sein Nachfolger Salomo baute sie darauf zu einer blühenden Metropole mit Tempel- und Palastanlagen aus. Dafür, so behauptet Prof. HÜBNER jedoch, haben die Archäologen allerdings bislang keine Belege gefunden. Schlimmer noch: „Wir werden auch nichts finden, denn die David und Salomo zugeschriebenen Großbauten gab es nicht.“ Solche Denkmäler sollen erst im 9. Jh. v. Chr. in Samaria und Megiddo entstanden sein. HÜBNERS Gewissheit, dass wir auch künftig nichts finden werden, stimmt jedoch bedenklich. Denn, wie ZICK zurecht betont, ist nicht nur der Tempelberg von zwei Moscheen überbaut, sondern auch Vieles über die Jahrtausende (z.B. in der Römerzeit) durch Steinbau abgetragen worden. Und dennoch hält die Archäologie auch heute noch viele Überraschungen bereit. So fand die Archäologin Dr. Eilat MAZAR 2005 in der Davidstadt Überreste eines Amtsgebäudes aus der frühen Königszeit.10 Ob das Gebäude in der Zeit Davids oder erst etwas später gebaut wurde, ist leider noch nicht endgültig geklärt. Aber wer hätte noch mit einem so bedeutenden Fund gerechnet? Damit jedoch nicht genug! Ebenfalls 2005 entdeckten Ronni REICH und Eli SHUKRON (Israelische Antikenbehörde) im (!) Gihonteich der Davidstadt nicht weniger als 90 Tonbullen und Siegel, die auf die administrative Bedeutung Jerusalems im frühen 1. Jt. v. Chr. hinweisen.11 Bereits während der Eisenzeit I (konv. ab 1200 v. Chr. – revidiert ab 1000 v. Chr.) wurde am Osthang der Davidstadt eine stabile Wehranlage zur Befestigung eines Palastes auf dem Kamm des Hügels gebaut.12 Nach der revidierten Chronologie könnte dies der Palast Davids oder Salomos gewesen sein. Die Anlage selbst dürfte mit dem von David und Salomo gebauten „Millo“ in 2Sam 5,9/1Kön 9,24 identisch sein. Damals muss die Stadt auch auf das Interesse der Ägypter gestoßen sein. Denn aus der Periode um konv. 1200 v. Chr. stammen mehrere ägyptische Funde (wie u.a. eine Stele, Statuen und Alabastergefäße – Abb. 1), die nördlich des Damaskustors entdeckt wurden.13 Revidiert würden sie aus der Zeit der frühen Könige Israels ab 1000 v. Chr. stammen. So erzählt uns 1Kön 9,16ff., dass Salomo eine ägyptische Prinzessin heiratete und für sie einen Palast in Jerusalem bauen ließ. Aus derselben Periode stammen auch mehrere Palast- und Toranlagen in Megiddo und Hazor samt Gold- und Elfenbeinschätzen.14

Ob das salomonische „Großreich“ ein Territorial-staat mit einer starken militärischen Präsenz bis an den Euphrat war, kann archäologisch noch nicht nachgewiesen werden. Dennoch möchte ich Gunnar LEHMANNS Zweifel am biblischen Bericht, „dass die Judäer ganz Palästina und Südsyrien unterworfen haben“ (S. 65), widersprechen. Denn auch hier könnte die revidierte Chronologie eine Lösung aufweisen. Zur Zeit der späten 19. Dynastie (revidiert ab 1000 v. Chr.) war Israel scheinbar eine ernstzunehmende Militärmacht gewesen. So wird das Volk „Israel“ auf der Israel-Stele von Pharao Merenptah unter den größeren Gegnern Ägyptens aufgelistet. Auf einem Relief in Karnak wird sogar die israelitische Armee mit Kampfwagen abgebildet.15 Dies würde gut zur Zeit Davids und Salomos passen, denn erst zu dieser Zeit sollen Streitwagen im größerem Rahmen im israelitischen Heer eingesetzt worden sein (2Sam 8,4; 1Kön 9,19 usw.).

LEHMANNS Argument, Israel wäre zahlenmäßig zu gering gewesen, größere Gebiete in Palästina und Südsyrien zu erobern (S. 65), könnte man folgendes entgegensetzen: selbst Kleinfürsten und Stadtkönige mit ihren kleineren Armeen (wie z.B. während der Amarna-Periode im 2. Jt. v. Chr.) standen ganzen Heeren gegenüber und sie haben größere Territorien in Palästina und Syrien erobert.

Noch bleiben viele Fragen offen und weitere Forschung auf dem Gebiet der revidierten Chronologie wird notwendig sein. Zunehmend ist jedoch in jüngster Zeit auch die Forderung nach einer Kürzung der Chronologie von anderen Wissenschaftlern laut geworden.16

Fazit

Wieder einmal wurde von Seiten der Medien versucht, die Geschichtlichkeit der Bibel ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dass dabei jedoch immer wieder dieselben Argumente erörtert werden, ohne dass auch alternative Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, stimmt bedenklich. Darf man vielleicht daraus schließen, dass auch „Bild der Wissenschaft“ gar nicht wirklich an einer objektiven Bestandsaufnahme zur Bibel interessiert ist?

Anmerkung

  1. M. ZICK, ‚Wo die Bibel irrt’, Bild der Wissenschaft 12/2005, S. 56-65.70-76.
  2. I. FINKELSTEIN & N. A. SILBERMAN, The Bible Unearthed, New York, 2001. S. auch: idem, David and Solomon – In Search of the Bible’s Sacred Kings and the Roots of Western Tradition, New York, 2006.
  3. U.a. P. VAN DER VEEN, ‚Der „Spiegel“ und die Archäologie des frühen Israel’, W+W-Diskussionsbeiträge 1/03; idem., ‚“Das Bibelrätsel“, W+W Info 4/05; P. G. VAN DER VEEN & U. ZERBST (Hg.), Biblische Archäologie am Schweideweg? Holzgerlingen 2002/2003; idem., Keine Posaunen vor Jericho? Holzgerlingen 2005.
  4. Auch: J. J. BIMSON, ‚IIB or not IIB? A Critique of David Rohl’s Setting for the Exodus and Conquest’, Journal of the Ancient Chronology Forum 10 (2005), S. 69-77.92.
  5. Aufgrund radiometrischer Datierungen werden auch höhere Datierungen für die Chronologie Ägyptens vorgeschlagen. Diese sind jedoch weitgehend von Archäologen abgelehnt worden: z.B. M. BIETAK (zu S. W. MANNING, A Test of Time), Bibliotheca Orientalis LXI Nr. 1-2 (2004), S. 200-222. Auch: U. ZERBST, ,Fragen der Datierung mittels Radiokarbon 14C und Baumringmethode’, in: VAN DER VEEN & ZERBST, Biblische Archäologie am Scheideweg? S. 441-515.
  6. ZERBST & VAN DER VEEN, Keine Posaunen, S. 41-61. Auch: BIMSON, ‚Die Akte „Exodus“‘, in: Abenteuer Archäologie 4/2004, S. 22-28.
  7. ZERBST & VAN DER VEEN, idem., S. 40-41.
  8. U.a. ZERBST & VAN DER VEEN, idem., S. 60; BIMSON, (When) Did it Happen? New Contexts for Old Testament History, Cambridge, 2003.
  9. ZERBST & VAN DER VEEN, idem.
  10. U.a. E. MAZAR, ‚It Looks Like King David’s Palace’, in: E. BARUCH et al., New Studies on Jerusalem, Ramat Gan, 2006, S. 7-16. 31-32*. Auch: P. VAN DER VEEN, W+W-Info 3/05, S. 1-2.
  11. U.a. R. REICH & E. SHUKRON, ‚The Excavation of the „Rock-Cut Pool“ near the Gihon Spring, Jerusalem’, in: E. BARUCH, idem., S. 17-21; 32-33*.
  12. Dazu auch: P. VAN DER VEEN, ‚1004 v. Chr.: König David Erobert Jerusalem’, Abenteuer Archäologie 1/2004, S. 26-28.
  13. G. BARKAY, ,A Late Bronze Age Egyptian Temple in Jerusalem’, Israel Exploration Journal 46 (1996), pp. 23-43; D. M. ROHL, Pharaonen und Propheten, München, 1996, S. 218-223. Ich arbeite z.Zt. mit Dr. SIMONE BURGER-ROBIN an einer Veröffentlichung über eine erst in jüngster Zeit ‚entdeckte’ Königinnenstatue aus Jerusalem. In einem survey für die Uni Bristol soll auch eine genaue Bestandsaufnahme des gesamten Gebiets nördlich des Damaskus-tors gemacht werden..
  14. P. J. JAMES et al., Centuries of Darkness, London, 1991, S. 197-200.
  15. ZERBST & VAN DER VEEN, Keine Posaunen, S. 38-40.
  16. Z. Z. wird zusammen mit den Fachleuten an einem neuen Band zur Revision der Eisenzeit gearbeitet. Unabhängig davon arbeitet der Autor an einer Habilitation für die Joh.-Gutenberg-Univ./Mainz über einen etwas niedrigeren terminus ad quem des Eisenzeit-IIB (Lachisch III)-Horizonts im Juda des 7. Jhs. v. Chr.