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Barbara Drossel: „Und Augustinus traute dem Verstand“

Warum Naturwissenschaft und Glaube keine Gegensätze sind
Gießen: Brunnen 2013. 93 S., Paperback, 9,99 €


Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Junker:

Das Anliegen der Autorin ist im Untertitel formuliert, nämlich zu begründen, warum Glaube und Naturwissenschaft keine Gegensätze sind. Die Antwort lautet: Beide beziehen sich auf verschiedene Erklärungsebenen: Naturwissenschaft auf die Prozessebene und auf die Abläufe, der Glaube auf den dahinterstehenden Urheber und seine Zielsetzung. Widersprüche entstünden dann, wenn diese Ebenen vermischt würden, was zu einem Kategorienfehler führe. Diesen Fehler begingen Atheisten, die mit Naturwissenschaft die Nichtexistenz eines Schöpfers begründen, ebenso wie Kreationisten, die aus den biblischen Schöpfungstexten fälschlicherweise naturwissenschaftliche Aussagen herauslesen, wie die Autorin meint. Der zweite Fehler, der zu vermeintlichen Widersprüchen zwischen Glaube und Naturwissenschaft führe, hängt mit dem ersten zusammen: Es würden Grenzüberschreitungen begangen, wenn Naturwissenschaftler mehr behaupten, als sie mit ihrer Methode begründen können, und wenn Bibelleser naturwissenschaftliche Aspekte aus Bibeltexten herauslesen, die diese gar nicht beinhalteten. Im weiteren Verlauf ihres Buches stellt Barbara Drossel drei Wissenschaftler, ihre wissenschaftlichen Leistungen und ihre Denken vor, die für sie auch vorbildlich in Bezug auf eine gute Verhältnisbestimmung von Glauben und Naturwissenschaft sind.

Vorbemerkungen zu Titel und Untertitel

Der gewählte Titel ist suggestiv, da er eine bestimmte inhaltliche Auffassung von vornherein mit einem Trauen auf den Verstand in Verbindung bringt – und die anderslautende implizit mit einem Nichtgebrauchen des Verstands. Der Leser wird hier schon einseitig vorgeprägt. Denn die entgegengesetzte Auffassung könnte ja auch durchaus verstandesgemäß sein. Auch der Untertitel „Warum Naturwissenschaft und Glaube keine Gegensätze sind“ ist problematisch, weil im Verlaufe der Ausführungen der Autorin unter der Hand die Evolutionsanschauung mit „Naturwissenschaft“ gleichgesetzt wird. Somit geht es maßgeblich um die Frage, ob Evolutionsanschauung und christlicher Glaube Gegensätze sind. Leider fehlt eine Auseinandersetzung um die in diesem Zusammenhang wichtige Frage, was das genaue Verhältnis der Evolutionsanschauung und der Naturwissenschaft ist (s. u.).

Als Basis für die weitere Analyse sollen zwei Vorbemerkungen über wichtige Unterscheidungen vorausgeschickt werden, die m. E. generell hilfreich sind in Überlegungen zum Verhältnis von Naturwissenschaft, Evolution und christlichem Glauben.

1. Die Frage, ob Naturwissenschaft und Glaube Gegensätze sind, hängt maßgeblich davon ab, was man unter beidem versteht.

Im Buch von Barbara Drossel geht es um den christlichen Schöpfungsglauben. Daher muss man sich darüber verständigen, was die Bibel über Schöpfung und die Geschichte offenbart. Das zu klären ist Aufgabe von Bibelexegese und Systematischer Theologie. Auf der anderen Seite muss geklärt werden, was Naturwissenschaft ist, welches ihr Arbeitsgebiet, ihre Methoden und ihre Grenzen sind und natürlich auch, ob gegebenenfalls (und welche) außerwissenschaftliche, weltanschauliche Inhalte in vermeintlich wissenschaftliche Aussagen eingeflossen sind.

Die Beziehung Glaube – Naturwissenschaft kann konfliktreich werden, wenn die beiden Bereiche mit Inhalten gefüllt werden, die sich sachlich ins Gehege kommen können, d. h. wenn beide etwas über denselben Gegenstand aussagen. Dies ist der Fall, wenn zum einen Naturwissenschaft so verstanden wird, dass sie auch die Erforschung der Geschichte der Natur umfassen soll (was die Autorin vertritt), und zum anderen, wenn behauptet wird, die Heilige Schrift sage etwas Verbindliches über Gottes Handeln in eben dieser Geschichte (was die Autorin bezüglich des biblischen Schöpfungszeugnisses nur eingeschränkt vertritt).

Das Konfliktpotenzial wäre dagegen gering, wenn die Heilige Schrift nichts über Gottes Handeln in der Geschichte sagen würde. Es wäre aber ebenso gering, wenn Naturwissenschaft auf die Erforschung empirisch zugänglicher, gegenwärtiger Sachverhalte beschränkt würde. Eine solche Unterscheidung zwischen reiner Naturwissenschaft und Naturgeschichtsforschung, die neben naturwissenschaftlichen Befunden auch andere mögliche Elemente berücksichtigt, ist aus verschiedenen Gründen angebracht.1 Die Autorin macht diese Unterscheidung in weiten Teilen ihres Buches nicht.

Die gegenwärtigen Kontroversen betreffen genau diese beiden Fragen: 1. Was sagt die Heilige Schrift über die Schöpfung und über ihre Geschichte und 2. welche Rolle spielt die Naturwissenschaft in der Erforschung der Geschichte der Natur? Die Fragen nach dem aktuellen, empirisch erforschbaren Aufbau beziehungsweise den nachweisbaren Gesetzmäßigkeiten der Natur („Naturgesetze“) spielen dagegen insgesamt keine wesentliche Rolle in den Kontroversen um dieses Thema. In Barbara Drossels Buch geht es wesentlich um die Geschichte der Natur, wie sie im Rahmen von Evolutionsanschauungen gezeichnet wird. Daher stellt sich die Frage: Steht diese Sicht von der Geschichte im Widerspruch zum Zeugnis der Heiligen Schrift und was sind ggf. die Gründe dafür?

2. Hinweise auf einen Schöpfer kann es auf verschiedenen Ebenen geben

Die Autorin setzt sich auch mit dem Ansatz des „Intelligent Design“ aus­einander (im Folgenden als „Design-Ansatz“ bezeichnet). Hier ist eine weitere wichtige Unterscheidung notwendig. Beim Design-Ansatz geht es generell um die Frage, ob es Kennzeichen der Natur gibt, die auf einen Urheber hinweisen. In der Diskussion dazu werden zwei Arten von solchen Kennzeichen angeführt: Physikalisch-kosmologische und biologische. Gemeint ist mit Ersterem die Tatsache, dass es überhaupt Gesetzmäßigkeiten in der Natur gibt, die wir erkennen und sogar mathematisch beschreiben können. Schon das ist alles andere als selbstverständlich, worauf auch die Autorin zurecht hinweist (S. 67). Darüber hinaus weiß man heute, dass eine Reihe von Naturkonstanten extrem fein abgestimmt sein muss, damit Materie stabil sein kann und darüber hinaus überhaupt Leben möglich ist. All das ist nicht selbstverständlich und kann als Hinweis auf einen Schöpfer gewertet werden. Wir können das „Design-Argument 1. Ordnung“ bezeichnen.

Bei der zweiten Art von Kennzeichen geht es um ein besonderes Merkmal, das Lebewesen im Unterschied zu physikalischen Gegenständen (wie z. B. Atome oder Planeten) auszeichnet: Zweckmäßigkeit bzw. Teleologie (Zielorientiertheit). Ist dieses Kennzeichen mit großer Komplexität oder anderen geeigneten Merkmalen verknüpft, kann dies als weiteres, unabhängiges Design-Indiz gewertet werden, das sozusagen auf dem physikalisch-kosmologischen Design-Indiz aufgesattelt ist (Design-Argument 2. Ordnung). Konkrete Beispiele sind komplexe Organe und Konstruktionen bei Lebewesen, die nur dann ihren Zweck erfüllen können, wenn viele Bauelemente gleichzeitig vorhanden und genau aufeinander abgestimmt sind.2

Das physikalisch-kosmologische Design-Indiz (1. Ordnung) kann auch in einer in sich abgeschlossenen Welt beweiskräftig sein. Man könnte dann sagen, dass Gott die Welt so geschaffen und die Naturkonstanten so festgesetzt hat, dass nach einem Initialereignis alles „von alleine“ ablaufen kann, ohne Wirkung von außen, bis hin zur Entstehung des Lebens und seiner ganzen Vielfalt, auch des Menschen, seines Geistes, seines Verhaltens und seiner Moralvorstellungen – als Resultat einer maximal ausgeklügelten Vorprogrammierung. Theologisch liefe das auf den Deismus hinaus (Gott als erster Beweger, der nicht weiter in den Lauf der Dinge eingreift). Eine evolutionäre Weltentstehung würde das physikalisch-kosmologische Design-Indiz (1. Ordnung) nicht entkräften, und eine solche Sicht ist daher auch nicht per se atheistisch.3 Die Autorin scheint die Sicht einer Vorprogrammierung zu vertreten, durch die nicht nur die physikalischen Gesetzmäßigkeiten eingerichtet wurden, sondern auch der Evolutionsprozess ermöglicht wurde. Denn zum einen erwartet sie, dass die Forschung noch zeigen werde, „wie ausgeklügelt und großartig der Evolutionsprozess angelegt ist“ (S. 79). Zum anderen lehnt sie den Design-Ansatz in der Biologie ab, wonach komplexe zweckmäßige Strukturen auf einen Urheber hinweisen (das Argument 2. Ordnung).

Beim biologischen Design-Argument (2. Ordnung) geht es um die weiterführende Frage, was die Gesetzmäßigkeiten der Natur und Zufall zu leisten vermögen und wo ihre Grenzen sind. Dass es Grenzen gibt, ist unstrittig. Niemand wird beispielsweise behaupten wollen, dass ein detailliert bearbeiteter Faustkeil oder technische Konstruktionen ein bloßes Produkt von naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten sein könnten. Wie sind aber biologische Konstruktionen zu bewerten? Das biologische Design-Argument besagt, dass bloße Naturgesetzmäßigkeiten auch nicht in der Lage sind, die biologischen Designs, die das Doppelkennzeichen Komplexität und Zweckmäßigkeit tragen, hervorzubringen, genauso wenig wie einen detailliert gearbeiteten Faustkeil. Ob das biologische Design-Argument sticht, muss in konkreten Fällen eine genaue Analyse zeigen. Darum soll es hier nicht gehen.4 Wichtig ist an dieser Stelle nur, dass der Design-Ansatz ein volles Recht hat, in der Ursprungsforschung verfolgt zu werden, und dass die Beschränkung auf den naturalistischen Ansatz, alleine Naturgesetze als Erklärungen in Genesefragen (Ursprung und ggf. Entwicklung) zuzulassen, unwissenschaftlich wäre, weil eine mögliche und sogar durch Indizien gestützte Antwortoption grundsätzlich ausgeschlossen würde.5 In anderen Worten: Der Design-Ansatz ist bereits dann berechtigt, wenn die Möglichkeit oder ein Verdacht auf eine intelligente Urheberschaft beziehungsweise auf Grenzen natürlicher Prozesse vorliegen. Und das ist unzweifelhaft der Fall. Diesen Verdacht konnte auch die Autorin nicht ausräumen.

Kommen wir nun genauer auf das Buch “Und Augustinus traute dem Verstand” zu sprechen

Die Autorin Barbara Drossel ist Professorin für Theoretische Physik an der TU Darmstadt und bekennende Christin. In ihrem Buch geht sie auf zwei grundlegende Fehler ein, die ihrer Meinung nach diejenigen begehen, die einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Glaube und Naturwissenschaft sehen: „Sie vermischen verschiedene Arten von Erklärungen, und sie überschreiten die Grenzen ihres Gebiets“ (S. 8). Nach der Erläuterung der „These vom Widerspruch von Glauben und Naturwissenschaft“ (Kapitel 1) widmet sie sich in je einem Kapitel diesen beiden Fehlern. Im zweiten Teil des Buches stellt sie drei Naturwissenschaftler vor, die sie als ihre „drei großen Vorbilder“ bezeichnet:  Den Kirchenvater Augustinus, den Astronomen Johannes Kepler und den zeitgenössischen Biologen Francis Collins, der durch das Human Genome Project bekannt wurde. Neben Verdiensten, die diese Forscher in der Erforschung der Schöpfung erworben haben, erfährt der Leser auch interessante Informationen über ihr Leben und über ihre Beziehung zum christlichen Glauben.

Eine Vermischung von Erklärungsebenen erfolge dann, wenn ein Entstehungsprozess und die Frage nach dem Urheber nicht unterschieden würden. Die Autorin versucht dies mit dem Beispiel des Kuchenbackens klarzumachen. „Wenn Zucker, Eier, Mehl und Fett eine Stunde lang bei 180 Grad im Ofen sind, kommt natürlich ein Kuchen dabei heraus!“ Diese Feststellung könne doch mit der Frage nach dem Urheber (so genannte „persönliche Erklärung“) überhaupt nicht im Konflikt stehen. Die Autorin nimmt dieses Beispiel als Bild für das Wirken Gottes: „Die persönliche Erklärung, dass Gott die erforderlichen Möglichkeiten und Gesetze in die Natur hineingelegt hat, wird von wissenschaftlichen Erklärungen nicht berührt“ (S. 22; Hervorhebung nicht im Original).6 Doch dieser (unklar gehaltene) Pauschalvorwurf der Vermischung von Erklärungsebenen lenkt von den entscheidenden Punkten ab: Es geht um die Frage, ob Gott am Anfang der Welt besonders schöpferisch aktiv war und zudem auch im Weltgeschehen aus verschiedenen Gründen (z. B. Schöpfung, Wunder, Offenbarungen, Auferstehung Jesu von den Toten) eingegriffen hat. Und es geht um die Frage, ob das Leben durch blinde, natürliche Prozesse (Naturgesetzmäßigkeiten, Zufall, natürliche Randbedingungen) entstehen konnte – oder aber ob wir gute Gründe dafür haben, dass hier auch das konkrete Eingreifen einer intelligenten Ursache nötig war. Es geht um Arten der Verursachung im Rahmen einer Erklärung, nicht um Erklärungsebenen.

Entsprechend kann Drossels Bild des Kuchenbackens – entgegen ihrer Absicht – viel eher verwendet werden, um den Design-Ansatz zu veranschaulichen: Die Frage ist, ob ein Gegenstand (hier der Kuchen, dort Lebewesen) allein aus natürlichen Randbedingungen und Naturgesetzen entstehen. Die Antwort lautet – zumindest beim Kuchen: Nein. Oder wie soll das Backen eines Kuchens allein durch „Möglichkeiten und Gesetze“ – und folglich ohne Intelligenz und Planung und ohne Eingriff von außen – erklärt werden? Gerade hier ist es nötig, dass ein zielorientiert handelnder Akteur geeignete Materialien und Bestandteile auswählt, sich ihre Eigenschaften sowie gewisse Gesetzmäßigkeiten kreativ zunutze macht und durch sein Eingreifen für einen korrekten Ablauf bis zum fertig gebackenen Kuchen sorgt. Das Beispiel illustriert auch, dass es nicht darum geht, ob „Erklärungsebenen vermischt“ werden, sondern darum, nüchtern festzustellen, welche Faktoren nötig sind, damit ein komplexer Gegenstand zustande kommt.

Zwischenfazit

Der entscheidende Punkt hängt nicht an der Frage, ob „Erklärungsebenen vermischt“ werden, sondern es geht um die Frage nach den wahren Ursachen, nach den Arten der Verursachung und welche davon am plausibelsten ist unter Berücksichtigung des aktuellen Wissens. Und wenn es gute Gründe für eine konkrete, direkte, intelligente Verursachung gibt, ist eine solche Option im Rennen – sowohl beim Kuchen als auch beim Leben. Es gibt keinen rational zugänglichen Grund, diese Option prinzipiell auszuschließen.

Als zweiten vermeintlichen Fehler derer, die Glaube und Naturwissenschaft im Widerspruch sehen, kritisiert die Autorin Grenzüberschreitungen. Die Naturwissenschaft könne immer nur beschreiben, nach welchen Gesetzen die Dinge ablaufen (S. 36), nicht aber ausschließen, dass es Dinge darüber hinaus gibt, die sie nicht erforschen kann. Wenn nun unter Verweis auf Naturwissenschaft behauptet werde, dass es Gott nicht gebe oder dass der menschliche Geist nichts als komplexe Materie sei, sei dies eine Grenzüberschreitung der Naturwissenschaft. Das stimmt. Es gebe aber auch „christliche Grenzüberschreitungen“, wenn etwa die Bibel zu einem naturwissenschaftlichen Lehrbuch gemacht werde (S. 38). An dieser Stelle bekämpft die Autorin einen Strohmann, denn wer betrachtet die Bibel als naturwissenschaftliches Lehrbuch? Vielmehr geht es um die Frage, was in der Bibel tatsächlich historisch gemeint ist, was über die Taten Gottes in Raum und Zeit gesagt wird und wo hingegen bildhafte Rede verwendet wird. (Dabei ist auch möglich, dass in einem historisch gemeinten Text einzelne Bildelemente vorkommen.) Das muss von Fall zu Fall sorgfältig im jeweiligen Kontext geprüft werden. Die Tatsache, dass in der Bibel auch in Aussagen über die Schöpfung bildhafte Rede vorkommt (S. 40), bedeutet nicht, dass alle Aussagen über Gott als Schöpfer bildhaft sind und keinen Bezug zur Historie haben. Hier macht es sich die Autorin viel zu einfach, wenn sie auf einige offenkundig bildhafte Aussagen hinweist und den Fall damit als ins­gesamt geklärt betrachtet.

In diesem Zusammenhang geht die Autorin auch auf Römer 5,12ff. ein, wo gesagt wird, dass durch einen einzigen Menschen Sünde und Tod in die Welt gekommen sind. Sie argumentiert, dass mit dem „Tod“ an dieser Stelle der „geistliche Tod“ gemeint sein müsse, denn eine andere Interpretation sei nicht „mit dem vereinbar, was wir sicher über die Vergangenheit der Erde wissen“ (S. 41); gemeint ist die Fossilüberlieferung und eine evolutionäre Vergangenheit, auch des Menschen, um den es in Römer 5,12ff. geht. Wird Evolution als unumstößliches Faktum und damit als konstituierende Leitidee der Naturwissenschaft betrachtet (was die Autorin tut), geraten wir hier eben doch in einen Konflikt zwischen „Naturwissenschaft“ und (christlichem) Glauben. Die Autorin löst diesen Konflikt, indem das evolutive Weltbild (was in ihren Augen „sicher“ ist) zum Schlüssel für die Bibelexegese wird: Denn „was wir sicher … wissen“ entscheidet bei ihr darüber, wie ein biblischer Text (hier Röm 5,12ff.) auszulegen ist. Doch damit gerät sie in einen Widerspruch mit den biblischen Texten (siehe Anhang am Ende dieser Buchbesprechung).7 Zur Begründung ihrer Sicht verweist sie auf ein Werk von Denis Alexander8, in dem die Deutung biblischer Texte offenkundig einer evolutiven Weltsicht angepasst wird. Alexanders Ansatz dabei ist: Naturwissenschaft vermittelt sichere Ergebnisse, während die biblischen Aussagen über die Schöpfung und die Anfänge eher unklar sind – und das (vermeintlich) sichere naturwissenschaftliche Wissen hilft uns, die unklaren biblischen Texte richtig zu verstehen.9 Die Konsequenz dieser Vorgehensweise sollte dann aber auch klar beim Namen genannt werden: Wissenschaftliche Theorien über die Geschichte der Natur – einschließlich darin enthaltener weltanschaulicher Vorannahmen – bestimmen, wie einschlägige biblische Texte zu lesen und zu verstehen sind. Das Wort Gottes wird wissenschaftlichen Hypothesen oder gar (unerkannten) weltanschaulichen Konzepten untergeordnet.

Es soll zugestanden werden, dass die Plausibilität einer langen Erdgeschichte hoch ist und es von daher nachvollziehbar ist, dass die Autorin nach einem Bibelverständnis sucht, das einen Konflikt an dieser Stelle vermeidet. Dennoch: Als sicheres Ergebnis der Naturwissenschaft können weder eine Gesamtevolution der Lebewesen noch das Alter der Erde gelten, da immer grundlegende Annahmen eingehen, die über das naturwissenschaftlich Begründbare hinausgehen. Und auf der anderen Seite müssen erst einmal alleine die biblischen Texte befragt und die gesamtbiblischen Zusammenhänge zugrunde gelegt werden, wenn Auslegungs- und Verständnisspielräume biblischer Texte ausgelotet werden.

Naturwissenschaft und Naturgeschichte

Der Konflikt Glaube und Naturwissenschaft wäre schnell gelöst, wenn Naturwissenschaftler die Grenzen ihrer Methode nicht überschreiten würden. Naturwissenschaftler erforschen die Natur, so weit sie unseren Sinnen zugänglich ist, und versuchen Gesetzmäßigkeiten der Natur herauszufinden, Vorgänge, die man durch „Wenn-Dann-Sätze“ beschreiben kann, und die nach aller unserer Erfahrung allgemein zutreffen (z. B.: Immer wenn ein Stein fallengelassen wird, fällt er zu Boden). Auch wenn die Autorin „Naturwissenschaft“ in ihrem Buch nicht definiert, macht sie doch einige Aussagen dazu: Naturwissenschaft befasse sich „nur mit der Frage nach den Gesetzen in den Abläufen dieser Welt“ (S. 23). Naturwissenschaftliche Fachartikel „befassen sich nur mit den regelhaften, natürlichen Abläufen, die man durch Beobachtung erforschen und durch Naturgesetze und Kausalzusammenhänge beschreiben kann“ (S. 34; Hervorhebungen hinzugefügt). Und: „Die Naturwissenschaft selbst kann immer nur beschreiben, nach welchen Gesetzen die Dinge ablaufen“ (S. 36; Hervorhebung im Original). Damit wäre Naturwissenschaft im Wesentlichen auf das beschränkt, was insbesondere in der Gegenwart empirisch zugänglich ist. Für die Aufklärung der Naturgeschichte ist Naturwissenschaft „nur“ ein Auswertungsinstrument von Indizien (wenn auch ein zweifellos wichtiges; vgl. 1. Vorbemerkung). Wäre dagegen die Naturgeschichte ausschließlich Gegenstand der Naturwissenschaft, beinhaltete das im Vorhinein die Annahme, dass die Geschichte der Natur ausschließlich von Gesetzmäßigkeiten oder, allgemeiner, von blinden, nichtgeistigen Einzelprozessen bestimmt sei. Das schreibt die Autorin zwar nicht, aber es folgt aus ihrem Ansatz und einige ihrer Ausführungen unterstreichen das.10

Zwar sei auch der Zufall „ein fundamentaler Bestandteil der Natur“, daher sei das Naturgeschehen nicht deterministisch, so die Autorin (S. 29; d. h. nicht festgelegt). An dieser Stelle sei im Prinzip Platz für Gottes Wirken, ohne dass Gott „die von ihm selbst geschaffenen Gesetze“ übertreten müsse (S. 29). Es gebe daher, so Drossel, kein zwingendes logisches Verbot von Wundern, aber Wunder passten nicht so recht zu einem Gott, der die Naturgesetze geschaffen habe, die er dann übertreten müsse. Drossel macht hier aber eine unzulängliche quasi-naturalistische bzw. physiko-deterministische Voraussetzung (alles sei in der Welt durch Naturgesetz plus physikalisch beschriebene Zufallsprozesse bestimmt), die bereits an sich sachlich unhaltbar ist.11 Auch die theologische Begründung – Gott übertrete keine Naturgesetze, die er selbst geschaffen hat – ist selbst völlig unbegründet. Sie unterstellt ein bestimmtes Motiv Gottes, für das es keine klaren Gründe gibt, nämlich dass er großes Interesse eines sich selbst überlassenen natürlich-physikalischen Systems hätte. Gott hat die Naturgesetze aber viel eher deshalb geschaffen, dass Menschen in einem ihnen vorgegebenen Ermöglichungsrahmen und entsprechend in einer stabilen Welt leben und handeln können. Zudem bedeutet ein Eingreifen so wenig ein Verletzen von Naturgesetzen wie das Eingreifen des Bäckers beim Kuchenbacken.

Konflikte sind unvermeidbar

Die Autorin bedauert, dass der Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Glaube noch nie so stark war wie heute (S. 15). „Naturwissenschaft“, so wie sie heute verstanden wird, muss man hier hinzufügen. Ihre Feststellung ist insofern korrekt, als man sich in der Geschichte der Naturwissenschaft lange auf ihren eigentlichen Gegenstand beschränkte, der der Beobachtung zugänglich ist und durch regelhaft-kausale Ablaufe beschrieben werden kann (s. o.); dass dies der eigentliche Gegenstand der Naturwissenschaft ist, räumt die Autorin ja selbst ein (s. o.; ihre Zitate S. 23, 34 und 36). Und gerade auf diesen Bereich beziehen sich die heutigen Kontroversen in der Regel nicht. Die Situation hat sich geändert, weil mitt­lerweile auch die Fragen zur Entstehung und Geschichte der Naturgegenstände ausschließlich mittels naturwissenschaftlicher Methoden beantwortet werden sollen bzw. – aus weltanschaulichen Gründen – dürfen. Der Grund dafür ist die weltanschaulich motivierte Vorentscheidung, dass in der gesamten Geschichte des Kosmos und des Lebens ausschließlich natürliche Abläufe anzunehmen seien, womit das Grundaxiom des ontologischen Naturalismus zugrunde gelegt wird. Eine solche weltanschauliche Vorgabe muss zu Konflikten mit Inhalten des christlichen Glaubens führen.

Forscher wie Johannes Kepler, eines der drei großen Vorbilder der Autorin, waren motivierte Forscher, weil sie Gott als Schöpfer der Naturgesetze ansahen (das betrifft die o. g. physikalisch-kosmologische Ebene) und daraus eine Erforschbarkeit der Schöpfung erwarteten und der Weisheit Gottes nachspüren wollten (S. 64). Sie untersuchten Aufbau, Abläufe und Funktionsweisen in der Schöpfung, nicht deren Ursprung und Geschichte. Wenn die Autorin davon ausgehend eine Linie zur Evolution der Lebewesen und zu Francis Collins‘ Überzeugungen über Evolution zieht, ist dies unsachgemäß, weil hier ein grundlegender Wechsel der Fragestellung und der verwendeten Methoden und Begründungen erfolgt, ohne dass dies klar kenntlich gemacht wird. Die Autorin verweist lediglich darauf, dass vergangene Prozesse Spuren hinterlassen hätten und auch hier prüfbare Vorhersagen gemacht werden könnten (S. 57). Aber genau hier kommt der Unterschied zur Naturwissenschaft (wie sie von der Autorin selbst beschrieben wird) zum Tragen. Es geht in der Naturgeschichtsforschung um Deutung von Spuren unter Einbeziehung unserer Kenntnisse über gesetzmäßig beschreibbare Prozesse, um einen einmaligen, vergangenen Ablauf zu rekonstruieren. Spuren sind aber oft mehrdeutig, und bei ihrer Deutung spielt eine Rolle, welche Deutungsansätze überhaupt verfolgt oder zugelassen werden. Zudem haben sich evolutionstheoretische Vorhersagen oft nicht erfüllt12, es gibt dafür ungezählte Beispiele, ohne dass deshalb das Paradigma in Frage gestellt worden wäre, weil das Grundaxiom des Naturalismus nicht angetastet wird und keine Offenheit für verschiedene Erklärungsmöglichkeiten vorhanden ist.

Dass Naturwissenschaft und Glaube doch zu einem Konflikt führen, wenn eine rein gesetzmäßig verlaufende Evolution als unantastbares Faktum und Leitidee der Naturwissenschaft betrachtet wird, wird bei der Besprechung der Vorstellungen von Francis Collins deutlich. Denn nach Collins „ist Evolution die Methode, mit der Gott das Leben auf der Erde geschaffen hat. Gleichzeitig weist Collins darauf hin, dass wir Menschen uns trotz unserer tierischen Abstammung grundlegend von den Tieren unterscheiden“, zum Beispiel in unserem Wissen um falsch und richtig (S. 75). Die spannende Frage wäre nun, woher diese spezifisch menschliche Fähigkeit kommt, wenn der Mensch in einem natürlichen Prozess aus dem Tierreich entstanden ist, in den Gott nicht eingreift. Diese Frage bleibt unbeantwortet. Collins versteht – so referiert es die Autorin zustimmend – die biblischen Schöpfungserzählungen als „eindrückliche Schilderung, dass Gott den Menschen die Fähigkeit gab, ihn zu erkennen und Gut und Böse zu unterscheiden, und wie die Menschen sich dann selbst an die Stelle Gottes setzen“ (S. 76). Wie aber soll man das verstehen, wenn die Menschen über Tausende von Generationen allmählich aus dem Tierreich herausentwickelt haben und dabei ihre Verhaltensweisen und Moralvorstellungen genauso evolutiv geerbt haben wie den aufrechten Gang oder das große Gehirn? Hier werden einfach zwei Dinge als gültig behauptet, ohne Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie miteinander harmonisiert werden können.

Theologische Aspekte und der Design-Ansatz

Eine Evolution der Lebewesen muss – wie dargestellt – nicht einem unspezifischen Schöpfungsglauben widersprechen (vgl. 2. Vorbemerkung, Design-Argument 1. Ordnung). Es gibt aber Konflikte mit dem biblischen Schöpfungszeugnis. Die Frage nach dem Einbruch von Sünde und Tod wurde bereits angesprochen, dabei geht es um heilsgeschichtliche Aspekte. Darüber hinaus stellt sich die Frage, was Schöpfung bedeutet, wenn sich Schöpfung nur in der genialen Vorprogrammierung eines evolutionären Prozesses und in der Feinjustierung der Naturkonstanten manifestiert (Design-Argument 1. Ordnung). Gott wäre im Sinne des Deismus auf den ersten Beweger reduziert, was nicht im Entferntesten dem Reichtum des biblischen Schöpfungszeugnisses entspricht. Die Bibel bezeugt jedenfalls beides, sowohl dass Gott garantiert, dass die Welt ihren gewohnten, regelhaften Gang geht, als auch dass Gott eingreift und dass er am Anfang in besonderer Weise geschaffen hat. Die Vielfalt biblischer Schöpfungsaussagen lässt sich keineswegs auf die Erschaffung der Naturgesetze einschränken, ebensowenig auf die Garantie ihrer Erhaltung (was in der Theologie oft als „creatio continua“ bezeichnet wird, aber nicht „Schöpfung“ im eigentlichen Sinne meint). Entsprechend ihrem Schöpfungsverständnis nimmt die Autorin jedoch genau diese Einschränkung vor. Sie schreibt: „Einige Leute meinen …, dass die Dinge augenblicklich entstehen, wenn Gott schafft. Doch die biblische Sicht ist anders. Zum Beispiel sagt David im Psalm 139 zu Gott: ‚Du hast mich gebildet im Mutterleib‘“ (S. 23). Gottes Schaffen sei daher ein längerer Prozess (S. 24). Hier übergeht die Autorin jedoch die biblischen Aussagen, wonach Gott augenblicklich erschafft (Psalm 33,9). Außerdem wird an vielen Stellen in der Heiligen Schrift von der Erschaffung als einem vergangenen Geschehen gesprochen (Ex 20,11; Kol 1,16). Jesus selbst erinnert die Pharisäer daran, dass Gott den Menschen am Anfang geschaffen habe (Mt 19,4). Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament unterscheidet die Bibel klar zwischen Gottes anfänglicher Erschaffung und seiner nachfolgenden Erhaltung.13 Wenn es z. B. in Ps 98,1 heißt, dass Gott Wunder tut, sind im Kontext damit keine gewöhnlichen Naturabläufe gemeint. Auch das zeichenhafte schöpferische Handeln Jesu, z. B. bei augenblicklichen Heilungen von Kranken oder bei der Auferweckung von Toten, macht deutlich, dass Schöpfung durch Jesu Machtwort geschieht und nicht durch einen von ihm irgendwie begleiteten Naturprozess. Auch die Auferstehung Jesu, die den Anfang der neuen Schöpfung darstellt, zeigt, dass „Schöpfung“ im Sinne der Bibel auch und gerade Gottes unmittelbares Eingreifen meint, das extrem weit die Möglichkeiten natürlicher Vorgänge überschreitet.

Angesichts der Vielfalt des biblischen Schöpfungszeugnisses ist es auch aus theologischen Gründen naheliegend, im Sinne des biologischen Design-Ansatzes Indizien für die Schöpfertätigkeit Gottes zu suchen (Design-Argument 2. Ordnung), die neben physikalisch-kosmologischen Indizien (Design-Argument 1. Ordnung) Erklärungskraft besitzen. Ob sich auch dieser Design-Ansatz bewährt, ist eine innerwissenschaftliche Angelegenheit. Wenn er sich bewährt, wird damit ein apologetisches Argument für Schöpfung ermöglicht; wenn nicht entfällt das Argument, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Das Design-Argument 1. Ordnung oder auch andere Argumente bleiben davon unberührt. Und Gott könnte die Lebewesen auch dann direkt erschaffen haben, wenn das nicht argumentativ wahrscheinlich gemacht werden könnte (dann entfiele das apologetische Argument). Es ist daher nicht korrekt, wenn Barbara Drossel schreibt: „Manche Leute haben … die Vorstellung, dass es Dinge gibt, die Gott schafft, und Dinge, die ‚von alleine‘ entstehen. Zu ihnen gehören die Vertreter des ‚Intelligent Design‘“ (S. 23). Für Vertreter des Intelligent Design hat der Designer alles erschaffen, aber nicht alle Naturgegenstände eignen sich für das Design-Argument 2. Ordnung (d. h. nicht alles Geschaffene trägt Spuren, die auf direkte Verursachung bzw. Eingriffe hinweisen). Beim biologischen Design-Ansatz geht es um Erkennbarkeit von biologischen Design, nicht um eine Unterscheidung, was der Designer geschaffen hat und was nicht; es geht dabei auch nicht um die Frage, wer der Designer ist und auch nicht darum, den Designprozess als solchen in Form einer lückenlos beschreibbaren Ursache-Wirkungskette abzubilden.

Der Design-Ansatz wird auch beim Thema „Gott als Lückenbüßer“ verkürzt dargestellt – und die eigentlich relevanten Fragenstellungen werden einmal mehr verwischt: „Die Wissenschaft kann die Entstehung der ersten Zellen nicht erklären, also muss Gott sie gemacht haben. … Diese Lücken werden als Beleg herangezogen, dass Gott die Dinge geschaffen hat“ (S. 26). Hier von „Lücken“ zu sprechen ist verfehlt, denn das geht nur, wenn das Ganze klar ist. Beispielsweise ist ein Gebiss eine lückenlose Reihe von Zähnen (das ist hier das Ganze), so dass das Fehlen eines Zahnes zu einer Lücke führt. In der Frage der Entstehung des Lebens gibt es aber kein Ganzes, in dem etwas fehlt. Wir haben keine naturwissenschaftliche Theorie, die diesen Vorgang oder auch nur wesentliche Teilschritte beschreiben würde. Hier von Lücken zu sprechen ist irreführend. Eine Lücke besteht nur für den, der eine natürliche Entstehung als Faktum bereits voraussetzt, wofür es wenig Anlass gibt. Tatsächlich erfolgt die Argumentation pro Design in der Biologie ganz anders, nämlich indem komplexe und zweckmäßige Strukturen identifiziert werden und auf der Basis unseres naturwissenschaftlichen Wissens (!) über physikalisch-chemische Gesetzmäßigkeiten abgeschätzt wird, ob deren Entstehung durch natürliche, blinde Prozesse erfolgt ist oder ob eine geistige Verursachung im Sinne des Design-Arguments 2. Ordnung wahrscheinlicher ist.

Fazit

Die relevanten Fragen bezüglich einer Vereinbarkeit von Evolution und christlichem Glauben werden von der Autorin nur kurz angerissen oder gar nicht angesprochen, stattdessen wird der falsche Eindruck erweckt, es gäbe an dieser Stelle gar kein Problem. Biblische Aspekte zum Thema „Schöpfung“ kommen sehr selektiv zur Sprache. Notwendige Unterscheidungen bezüglich verschiedener Argumentationsmöglichkeiten für einen Schöpfer und bezüglich Naturwissenschaft und Naturgeschichte werden nicht oder nur rudimentär vorgenommen. Drossel setzt – von ihr nicht wahrgenommene? – weltanschauliche-naturalistische Grundannahmen voraus. Der Design-Ansatz wird verkürzt und entstellt wiedergegeben. Viele Ausführungen sind suggestiv und unklar gehalten, wodurch von den eigentlich relevanten Punkten abgelenkt wird und wesentliche Fragen offen bleiben.

Dank

Markus Widenmeyer und Henrik Ullrich danke ich für kritische Durchsicht des Textes und einige wertvolle Hinweise und Ergänzungen.

Anhang

Der Tod als Sündenfolge schließt den leiblichen Tod ein*

Oft wird behauptet, mit dem „Tod“ als Folge der Sünde sei der geistliche Tod gemeint, also die Trennung von Gott, sowohl in Gen 2 und 3, als auch in Röm 5,12ff. Doch das ist exegetisch aus folgenden Gründen nicht haltbar:

  • In Gen 2 und 3 kann aufgrund des dort verwendeten Begriffes für „Tod“ (mot) nur der ganzheitliche Tod gemeint sein, der physische Tod eingeschlossen. Im weiteren Zusammenhang ab Kapitel 5 des Römerbriefes  ist vom Sterben der Menschen nach Adam die Rede, wobei derselbe Begriff wie in Gen 2 und 3 verwendet wird und unmöglich der „geistliche Tod“ gemeint sein kann („und er starb“ – am Ende seines Lebens, was sicher nicht geistlich gemeint ist).
  • In Röm 5,12 wird die Sünde dem Tod gegenübergestellt: aus der Sünde folgt der Tod (ähnlich, wenn auch in anderem Zusammenhang, in Jak 1,15). Mit „Tod“ kann daher nicht der geistliche Tod gemeint sein, denn Sünde ist geistlicher Tod (Eph 2,1; Kol 2,13). „Tot“ kann im NT wie z. B. in Eph 2,1 und Kol 2,13 zwar „geistlich tot“ meinen, doch muss in jedem Fall der Kontext über die Bedeutung entscheiden. Wäre in Röm 5,12 der geistliche Tod gemeint, würde Paulus sagen: Durch den geistlichen Tod (Sünde) kam der geistliche Tod; das wäre eine leere Aussage.
  • In den Röm 5,12 folgenden Versen ist vom Sterben der Menschen nach Adam die Rede, es kann nur das leibliche Sterben gemeint sein. Diese Menschen starben nicht wegen gleicher Übertretung wie Adam (Röm 5,14), daher kann nicht das geistliche Sterben gemeint sein, denn nach Adam ist der „natürliche Mensch“ (1 Kor 2,14) bereits geistlich tot. Aufgrund des Unterschiedes der Sünde Adams und der Sünde der nachfolgenden Generationen ist auch klar, dass mit der Ursünde in Gen 3 nicht das Sündigen allgemein gemeint sein kann.
  • Im Gesamtkontext von Röm 5 ist immer vom leiblichen Sterben die Rede, nämlich vom leiblichen Sterben Jesu für uns Menschen. Dass Jesus leiblich für unsere Sünden starb und leiblich auferstand, lässt ebenfalls nur den Schluss zu, dass das Sterben infolge der Sünde das leibliche Sterben einschließt, weil beides aufeinander bezogen wird. Warum musste Jesus physisch sterben und weshalb ist die physische Auferstehung so wichtig? Wenn Sünde keine Auswirkungen auf die physische Welt hatte und wenn Jesus nicht kam, um eine gefallene physische Schöpfung zu erlösen, und wenn der Lohn der Sünde nicht der physische Tod ist, dann gab es auch keine Notwendigkeit für Jesus, den physischen Tod zu erleiden. Christus kann nicht Erlöser für etwas sein, was nie verlorengegangen ist (vgl. Röm 3,23). In Hebr 2,14-17 wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen Jesu leiblichem Tod und der Entmachtung dessen, der aufgrund der Sünde des Menschen die Gewalt über den Tod hat.
  • Auch in 1Kor 15,21ff. wird die leibliche Auferstehung dem Tod infolge der Sünde gegenübergestellt; es ist im ganzen Kapitel ausdrücklich von der Leiblichkeit der Auferstehung die Rede, was wiederum nur bedeuten kann, dass auch der Tod als Sündenfolge leiblich ist: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus einst alle lebendig gemacht“ (1Kor 15,21) – dem Auferstehungsleib (1Kor 15,35ff.) steht der todgeweihte Leib der Sünde gegenüber. Es ist unmöglich, Paulus zu unterstellen, es gehe hier um den geistlichen Tod und das geistliche Leben.

Wenn der Mensch evolutiv entstanden ist, kommen weitere Konsequenzen hinzu: Wenn unsere genetische Konstitution für unser Handeln verantwortlich ist, und diese in einer „evolutionären Schöpfung“ entstanden ist, wie kann Gott uns dann dafür zur Rechenschaft ziehen und weshalb brauchen wir dann einen Retter, der stellvertretend unsere Sünde auf sich nimmt?

Zu bedenken ist im Zusammenhang der Texte von Genesis 2 und 3 noch Folgendes: Nach dem Fall wird der Mensch vom Zugang zum Baum des Lebens ausgesperrt. Er hätte also in dessen Gegenwart nicht sterben müssen. Einen solchen Zustand der Möglichkeit, nicht sterben zu müssen, gab es evolutionär nicht. Da müsste man einen Eingriff Gottes in die Evolution postulieren, die dem Menschen diese Option gegeben hat; das aber wäre ein Eingriff Gottes ins physische Geschehen gewesen, was Befürworter einer theistischen Evolution heutzutage gewöhnlich ablehnen. Der Tod wäre dann also bereits beim Menschen schon vor seiner Sünde da gewesen. In Röm 5,1 wird dagegen gesagt, dass der Tod erst durch die Sünde in die Welt hineinkam.

Schließlich sei noch angemerkt, dass eine Trennung zwischen geistlichem und leiblichem Tod aus dem griechischen Denken stammt, mit dem jüdischen Denken jedoch nicht vereinbar ist. Dort bildet die ganze Person, also sowohl ihre leibliche als auch geistliche Dimension, eine Einheit. Die Leiblichkeit der Auferstehung ist im jüdischen Denken sozusagen ein Muss (nur die hellenistisch geprägten Sadduzäer sahen das anders); am Tage des Herrn werden alle auferstehen. Auch Hesekiel sieht die Auferstehung der Gebeine (im Tal der Gebeine) als die Vollendung des Wirken Gottes (Hes 37).

Anmerkungen

1 Jahn T, Junker R & Widenmeyer M (2010) Schöpfung und Evolution. Naturwissenschaft und Naturgeschichte.

2 Näheres dazu z. B. bei: Junker R (2010) Spuren Gottes in der Schöpfung? Eine kritische Analyse von Design-Argumenten in der Biologie. Holzgerlingen, 2. Aufl.; kürzer unter www.genesinet.info (unter „Schöpfung“, „Design-Theorie“).

3 Sie würde erst atheistisch, wenn die Naturgesetze und -konstanten als letztlich zufällig und unerklärbar angenommen werden, ohne Bezugnahme auf einen Schöpfer, was aber sicher kein Ergebnis der Naturwissenschaft ist, sondern eine weltanschauliche Festlegung.

4 Siehe dazu Junker R (2010) Spuren Gottes in der Schöpfung? Eine kritische Analyse von Design-Argumenten in der Biologie. Holzgerlingen, 2. Aufl.

5 Vgl. Junker R & Scherer S (Hg, 2013) Evolution – ein kritisches Lehrbuch. Gießen, 7. Auflage; Abschnitt VII.16.6.

6 Hier findet sich das physikalisch-kosmologische Design-Argument 1. Ordnung wieder (vgl. 2. Vorbemerkung).

7 Ausfühlich dargelegt in: Junker R (2012) Theistische Evolution nach Denis Alexander und nach BioLogos.

8 Alexander D (2008) Creation or Evolution? Do we have to choose? Oxford.

9 Das wird ebenfalls im unter Anm. 7 genannten Artikel gezeigt.

10 Zum Beispiel die schon zitierte Überzeugung, dass der Evolutionsprozess „ausgeklügelt und großartig“ angelegt sei (S. 79) und aufgrund ihrer Ablehnung des biologischen Design-Ansatzes (2. Ordnung, vgl. 2. Vorbemerkung), was gleichbedeutend mit dem Ausschluss von Eingriffen irgendwelcher Art ist.

11 vgl. Keil G (2007) Naturgesetze, Handlungsvermögen und Anderskönnen. Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2007, 55, 929-948 (darin s. 932); von Wachter D (2009) Die kausale Struktur der Welt. Eine philosophische Untersuchung über Verursachung, Naturgesetze, freie Handlungen, Möglichkeit und Gottes Wirken in der Welt. Alber Philosophie, S. 227. (online: http://epub.ub.uni-muenchen.de/1975/1/wachter_2007-ursachen.pdf)

12 Zahlreiche Beispiele dazu in: Junker R (2005) Wissenschaft im Rahmen des Schöpfungsparadigmas.; Abschnitt 5.2; den dort genannten Beispielen könnte man mittlerweile viele weitere anfügen.

13 vgl. Lennox J (2011) Seven days that divide the world, S. 170.