Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 10. Jg. Heft 1 - April 2003
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Noch immer im Dunkeln: Die Dunkle Materie

von Oliver Beck

Studium Integrale Journal
10. Jahrgang / Heft 1 - April 2003
Seite 28 - 30




Einleitung
Abb. 1: Für den Erhalt der Struktur von Spiralgalaxien wird schon lange die Existenz Dunkler Materie postuliert. (NGC 3310; NASA, JPL)

Anfang der dreißiger Jahre entdeckte Fritz Zwicky, daß die über ihre Lichtemission nachgewiesenen Massen von Galaxienhaufen zu gering sind, um diese zusammenzuhalten. Sie würden in einigen hundert Millionen Jahren auseinanderfallen. Außerdem sind die mit den Meßinstrumenten ermittelten Massen der Sterne in Galaxien zu gering, um die Stabilität der jeweiligen Galaxie über kosmologische Zeitskalen zu gewährleisten. So sollte unsere Milchstraße nach etwa 100 Millionen Jahren ihre Scheibenform verloren haben. Deshalb nehmen die Astronomen an, daß es dort außer der durch ihre Lichtemission beobachteten Materie eine bislang noch nicht spezifizierte Dunkle Materie gibt, die den Erhalt der Scheibenform gewährleistet.

Auch theoretische Gründe werden für die Existenz Dunkler Materie angeführt. So verlangt das Standardmodell der Urknalltheorie, daß die Gesamtdichte des Universums nahe bei der kritischen Dichte liegt, wovon aber nur 0,5% in den Sternen gebunden ist. (Die kritische Dichte entscheidet, ob sich das expandierende Universum irgendwann wieder zusammenzieht.) Zudem sollte für die postulierte Elementsynthese beim Urknall die baryonische Dichte (d.h. die Dichte der „normalen“ Elementarteilchen Protonen und Neutronen) zwischen 1% und 9% der kritischen Dichte liegen, so daß der Rest aus exotischer Materie bestehen müßte. Daraus würde dann folgen, daß die Dunkle Materie sowohl eine baryonische als auch exotische (Neutrinos, WIMPs, Axionen u. a.) Komponente enthalten müßte. Auch für Strukturbildung (Galaxienentstehung u. a.) nach dem (postulierten) Urknall soll sie eine Rolle spielen.

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Überblick über neue Kandidaten für die Dunkle Materie

Wenn man die bisher fehlende (baryonische) Dunkle Materie nachweisen will, sollte das am ehesten in der Milchstraße gelingen. Dort wurden bei der Suche nach Dunkler Materie in den letzten Jahren einige neue Erkenntnisse gewonnen. Zum einen hat man zu wenig braune Zwerge gefunden, als daß sie einen Beitrag zur Dunklen Materie leisten könnten (Tinney 1999). Zum zweiten haben verbesserte Schätzungen der Massendichte in der galaktischen Scheibe der Milchstraße gezeigt, daß die dort beobachtete Gravitationswirkung allein durch die Massendichte sichtbarer Objekte erklärt werden kann (Hellemanns 1997, Crézé et al. 1998). Auf der Suche nach massiven kompakten Körpern im Halo der Milchstraße (sog. Machos) mittels ihrer Gravitationslinsenwirkung gab es neue Ergebnisse. Der Halo ist ein kugelförmiger Bereich der Milchstraße, in dem sich Sterne und Sternhaufen befinden. Während eine Gruppe (Milsztajn & Lasserre 2001) nur eine obere Grenze für den Anteil der Machos an der Dunklen Materie glaubt angeben zu können, berichtet eine andere (Alcock et al. 2000) von Machos, die etwa 20% der gesuchten Dunklen Materie ausmachen. Schließlich behaupten Oppenheimer et al. (2001), eine bisher unbekannte Population von weißen Zwergen gefunden zu haben, die 2% der gesuchten Dunklen Materie ausmachen würden (Sincell 2001a, Oppenheimer 2001). Dagegen rechnen Reid et al. (2001) diese zu schon bekannten Gruppen (vgl. Sincell 2001b).

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Ergebnisse im Detail

Nach diesem kurzen Überblick sollen die Ergebnisse etwas ausführlicher erläutert werden.

• Braune Zwerge sind sternähnliche Objekte, die aufgrund ihrer geringen Masse keine Kernfusion unterhalten und deshalb auf große astronomische Entfernungen nicht beobachtet werden können, da sie relativ klein und dunkel sind. Sie gewinnen ihre Energie aus gravitativer Kontraktion. Seit 1995 sind ein paar davon nachgewiesen worden. Um nun abschätzen zu können, ob sie einen Beitrag zur Dunklen Materie liefern können, muß man sowohl ihre Anzahl als auch ihre Masse kennen. Da Letzteres nicht direkt ermittelt werden kann, benutzte Tinney (1999) die Anzahl der Sterne pro Masseneinheit und Volumen und extrapolierte von diesen über ein Potenzgesetz die Anzahldichte der braunen Zwerge. Dabei ergibt sich eine zu geringe Anzahl. Eine Nachprüfung in „jungen“ Sternclustern bestätigte dieses Ergebnis.

• In der galaktischen Scheibe ist nach Arbeiten von Honc-Anh Pham sowie einer Gruppe um Crézé zu wenig Masse, um für einen merklichen Anteil von Dunkler Materie aufkommen zu können (Hellemans 1997, Crézé et al. 1998). Pham benutzte 10.000 F-Typ Sterne im Umkreis von 250 parsec. (parsec ist ein Entfernungsmaß und entspricht ca. 3 Lichtjahren.) Aus dem „Sternalter“ und dem Abstand zur galaktischen Ebene erhält sie eine Dichte von 0,11 Sonnenmassen/parsec3. Crézé et al. untersuchten 100 Sterne im Umkreis von 100 Parsec. Sie betrachteten die Beschleunigung der Sterne senkrecht zur galaktischen Ebene und erhielten daraus eine Dichte von 0,076 Sonnenmassen/parsec3. Beide Dichten liegen zu nahe an der Dichte der Sterne in der Galaxie, um genügend Raum für die postulierte Dunkle Materie zu lassen.

• Eine Möglichkeit, Dunkle Materie im Halo (s. o.) direkt nachweisen zu können, ergibt sich durch den Gravitationslinseneffekt. Dabei wirkt das Gravitationsfeld eines kompakten Körpers wie eine Linse und fokussiert das Licht eines Sterns im Hintergrund. Das bedeutet, daß ein solcher Körper, der die Sichtlinie eines Sterns kreuzt, diesen während eines Durchgangs heller erscheinen läßt. Um solche Ereignisse nachzuweisen wurden von einigen Arbeitsgruppen (Kollaborationen) mehrere Millionen Sterne, die zur Großen oder Kleinen Magellanschen Wolke (LMC bzw. SMC) gehören, über mehrere Jahre beobachtet. Nachdem man 1996 einen ersten solchen Durchgang am zeitweiligen Hellerwerden identifiziert hatte (Glanz 1996), gab es 1998 eine Überraschung, als man eine Binärlinse beobachtete, die sich höchstwahrscheinlich in der SMC befindet (Glanz 1998). Anders als bei einfachen Linsen hat man bei Binärlinsen genügend Informationen, um Aussagen über ihren Ort zu machen. Bisher hat die MACHO-Kollaboration (s. o.) 13-17 Linsen in Richtung der LMC gefunden (Alcock et al. 2000). Aus der Dauer des Durchgangs läßt sich schließen, daß die Massen bei 0,4 Sonnenmassen liegen. Unter Verwendung der Empfindlichkeiten der Aufnahmen kann man auf die Anzahl der Machos schließen, woraus sich eine Masse der Machos zu etwa 20% der gesuchten Dunklen Materie ergibt. Dieser Wert ist allerdings stark von den verwendeten Modellen für Halo, LMC und LMC-Halo abhängig, wobei für fast alle vernünftigen Modelle der Wert von 100% für die gesuchte Dunkle Materie ausscheidet. Die EROS-Kollaboration (Experience de Recherche d’Objets Sombres, fr. etwa Experiment der Suche von dunklen Objekten) hat bisher 6 Linsen entdeckt, davon eine in Richtung der SMC (Milsztajn & Lasserre 2001). Für einen dunklen Halo, der ganz aus Machos besteht, erwartet man unter Verwendung der aus der Rotationsbewegung der Milchstraße abgeleiteten Masse und der obigen Masse der Machos etwa 30 Linsen. Die Autoren geben deshalb eine obere Grenze von 40% für den Beitrag der Machos zur Dunklen Materie der Milchstraße an. Da die Möglichkeit besteht, daß die Linsen nicht zum Halo, sondern zu den Magellanschen Wolken gehören, wollen sie keine untere Grenze angeben. Sie argumentieren auch, daß anders als bei MACHO durch das Beobachten weniger dichter Regionen der Magellanschen Wolken auch weniger Ereignisse durch Linsen aus den Magellanschen Wolken selbst auftauchen. Dagegen argumentieren Alcock et al., daß man die Linsen nicht allein durch Eigenlinsen von bekannten Sternpopulationen der Magellanschen Wolke erklären kann. Sahu & Sahu (1998) weisen aber darauf hin, daß alle bisher zuordenbaren Linsen (zwei Binärlinsen und eine andere in der SMC befindliche Linse) in den Magellanschen Wolken gelegen sind. Außerdem sei bei Linsen, die sich in den Magellanschen Wolken befinden, unterschiedliche Dauer der Durchgänge zu erwarten, was sich in den zwei Ereignissen aus der SMC andeute.

Abb. 2: Die (u,v)-Geschwindigkeitsverteilung der 38 weissen Zwerge. u ist die Geschwindigkeit in Richtung des galaktischen Zentrums, v die entlang der Rotationsrichtung relativ zur Erde. v=-220 km/s bezeichnet Objekte ohne Rotation. Die Kreise um (0,0) bezeichnen die 1s/2s-Grenze für Objekte der galaktischen Scheibe, die anderen die 1s/2s-Grenzen für Haloobjekte. (Aus Reid et al. 2001)

• Im April 2001 meldeten Oppenheimer et al., 38 weiße Zwerge gefunden zu haben, die sich im Halo befinden. Diese Anzahl ist etwa 10mal größer als vom sichtbaren Teil des Halos zu erwarten. Dies wäre der erste direkte Nachweis Dunkler Materie nach 30-jähriger Suche (Sincell 2001a). Da sich alle diese Sterne im Bereich der Scheibe der Milchstraße befinden, muß man ihre Geschwindigkeiten betrachten, um zu unterscheiden, ob sie zur (mit 220 km/s) rotierenden Scheibe oder zum Halo gehören und die Scheibe gerade durchfliegen. Da die Beobachtungsrichtung etwa senkrecht zur Galaxienebene verlief, konnten die Geschwindigkeiten parallel zur galaktischen Scheibe bestimmt werden (siehe Abb. 2). Dabei erhielten die Astronomen 38 weiße Zwerge, die außerhalb der 2s-Grenze (94 km/s) lagen (s = Standardabweichung). Die Standardverteilung stammt von der gemessenen Geschwindigkeitsverteilung „alter“ Sterne in der Scheibe. Da Objekte mit Eigenbewegungen kleiner als 3“/y (Bogensekunden pro Jahr) kaum beobachtet werden können, sei es klar, daß auf der linken Hälfte des Diagramms nur so wenig weiße Zwerge zu finden seien. Die so gefundenen 38 Halo-Zwerge ergeben dann eine Dichte von 1,3*10-4 Sonnenmassen/parsec3. Das ist etwa das Zehnfache der im sichtbaren Halo zu erwartenden weißen Zwerge. Deshalb müßten sie zur Dunklen Materie des Halos gehören, von dem sie dann 2% der Dichte ausmachen.

In einem im Oktober 2001 veröffentlichten Artikel argumentieren Reid et al. (2001) dagegen, die gefundenen weißen Zwerge gehörten zu schon bekannten sichtbaren Populationen von Sternen und betrachten die angeführten Argumente als zu schwach, um eine so radikale These begründen zu können. Sie bemerken, daß ein Großteil der Zwerge sich an den 2s-Grenzen befindet und nur wenige sich entgegen der Scheibenrotation bewegen. Außerdem finden sie keinen Beleg für die Unvollständigkeit der Beobachtungen hinsichtlich der linken Seite von Abb. 2. Sie argumentieren deshalb, daß die meisten der weißen Zwerge den Hochgeschwindigkeitsschwanz der rotierenden Scheibe ausmachen. Durch Vergleich mit M-Zwergen (Hauptreihensterne vom M-Typ) erhalten sie unter Verwendung der Sternentwicklungstheorie eine Abschätzung der Dichte von sehr schnellen weißen Zwergen, die grob mit den von Opppenheimer et al. berechneten übereinstimmt. Die retrograd sich bewegenden Sterne seien dagegen durchaus im Rahmen dessen, was mit dem sichtbaren Halo zu erwarten sei.

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Schlußfolgerung

Neben einigen Fällen, wo Dunkle Materie nicht gefunden wurde, gibt es also einige Befunde, wo sie möglicherweise nachgewiesen wurde. Braune Zwerge scheiden als mögliche Kandidaten für Dunkle Materie aus. Auch in der galaktischen Scheibe ist sie nicht (nennenswert) nachweisbar. Die Suche nach Gravitationslinsen hat einige Objekte nachweisen können, die einen deutlichen Anteil an der gesuchten Dunklen Materie liefern könnten. Allerdings kann noch nicht ausgeschlossen werden, daß die Linsen in den Magellanschen Wolken liegen und somit keine Dunkle Materie im Halo der Milchstraße darstellen. Dabei scheidet ein ganz aus Machos bestehender Halo von Dunkler Materie bereits jetzt aus. Die beobachteten weißen Zwerge sind möglicherweise der erste direkte Fund von Dunkler Materie, machen aber bisher nur 2% aus, und es ist nicht klar, ob sie eventuell doch zu bisher bekannten Sternen gehören.

Damit bleibt die gesuchte Dunkle Materie bis jetzt weiter im Dunkeln.

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Literatur

Alcock C et al. (2000)
The MACHO Project: Microlensing results from 5.7 years of large Magellanic Cloud observations. Astrophys. J. 542, 281-307. [MACHO]
Crézé, M. et al. (1998)
The distribution of nearby stars in phase space mapped by Hipparcos. Astronomy + Astrophysics 329, 920-936.
Glanz J (1996)
Is the Dark Matter Mystery Solved? Science 271, 595-596.
Glanz J (1998)
A Dark Matter candidate looses its luster. Science 281, 332-333.
Hellemanns, A. (1997)
Galactic Disk contains no Dark Matter. Science 278, 1230.
Milsztajn A & Lasserre T (2001)
Not enough stellar mass Machos in the Galactic Halo. Nucl. Phys. (Proc. Suppl.) B 91, 413-419. [EROS]
Oppenheimer BR (2001)
Direct Detection of Galactic Halo Dark Matter. Science 292, 698-702.
Reid IN et al. (2001)
High-velocity white dwarfs: thick disk, not dark matter. Astrophys. J. 559, 942-947.
Sahu KC & Sahu MS (1998)
Spectroscopy of Macho 97-SMC-1: self-lensing within the small magellanic cloud. Astrophys. J. 508, L147-150.
Sincell M (2001a)
Astronomers glimpse Galaxy’s heavy halo. Science 291, 2293-2294.
Sincell M (2001b)
Critics of ‘Halo Matter’ Outrace the Presses. Science 292, 618-619.
Tinney CG (1999)
Brown dwarfs: the stars that failed. Nature 397, 37-40.

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