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R. Jeßberger: „Kreationismus. Kritik des modernen Antievolutionismus.“

Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg 1990. 188 S.; 15 Abb.


Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Junker:

Der Biochemiker Jeßberger (z. Z. Department of Biochemistry, Stanford University Medical Center, California) schreibt aus Sorge um Verfälschungen des grundsätzlichen Bildes der Biologie und um die Bemühungen um Einfluß “kreationistisch-fundamentalistischer Ideologien” in den Schulen. Jeßberger will die seiner Meinung nach unhaltbare Argumentation der Antievolutionisten aufdecken und besonders Lehrern, Studenten, Oberstufenschülern, aber auch Theologen und Geisteswissenschaftlern argumentativ beistehen. “Schließlich sind es oft gerade Nicht-Naturwissenschaftler, die Mühe haben, den Fallstricken der teilweise geschickt aufgebauten kreationistischen Argumentation zu entgehen” (S. 7). Neben einer teilweise ausführlichen Besprechung von Detailargumenten der “Kreationisten” (Kap. 5) widmet sich der Autor der wissenschaftstheoretischen Problematik (Kap. 4). Er bestreitet die Wissenschaftlichkeit des Kreationismus damit, daß dessen Grundthesen nicht falsifizierbar seien, daß er in sich widersprüchlich sei und im Widerspruch zu den empirischen Daten stehe und keinen Erklärungswert besitze (S. 53ff.). Aufgrund des seines Erachtens eindeutig ideologischen Charakters des Kreationismus dürfe er keinen Eingang in die Schulen finden. “Das auf den ersten Blick plausibel erscheinende ‘Fair-Play’-Argument ist in Wahrheit nur eine Tarnkappe für die Einführung dogmatische und fanatischer Außenseiterpositionen in die Schule” (S. 156; Kap. 7). “Ausnehmend wichtig” ist ihm auch, daß “Entweder-oder” in Sachen Schöpfung/Evolution als Scheinalternative zu entlarven (S. 7). Im Kapitel 6 (“Kirche, Religion und Evolution”), das sich dieser Alternative widmet, findet man dazu jedoch nur kurze Ausführungen. Jeßberger beruft sich hier vor allem auf Hemminger (Kreationismus zwischen Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft; EZW Stuttgart 1988) und verweist auf die sogenannte “kategoriale Komplementarität”: Schöpfungslehre und Evolution seien Antworten auf Fragen verschiedener Kategorien, die sich ergänzen können (S. 147). Doch wird Jeßberger hier so wenig konkret wie Hemminger.

Die ersten beiden Kapitel behandeln “geschichtliche Wurzeln des Kreationismus” und “Grundzüge der Geschichte des Evolutionsgedankens”. Das abschließende Kapitel geht über “Kreationismus, Evolution und Gesellschaft”.

Einige Beobachtungen in diesem Buch (besonders im Hauptkapitel 5 (“Detailargumente des Kreationismus”) sind besonders bemerkenswert:

1. Jeßberger zitiert neuere schöpfungstheoretische Literatur gar nicht oder geht auf die darin gebotenen Fakten und Argumente nicht ein. Dies ist insofern bemerkenswert, als zahlreiche Argumente, auf die der Autor eingeht, gar nicht mehr oder nicht mehr so wie früher (bzw. nur noch teilweise) von Schöpfungstheoretikern vertreten werden. Wie ein Blick ins Personenregister zeigt, hat sich Jeßberger im wesentlichen auf D. T. Gish, E. Hitzbleck, H. M. Morris, G. Parker, J. Scheven (Daten zur Evolutionslehre im Biologieunterricht 1979), J. C. Whitcomb und A. E. Wilder-Smith konzentriert. Relativ häufig (je 5x) werden auch H. Schneider und W. J. Ouweneel zitiert. Dagegen wird Junker & Scherer, Entstehung und Geschichte der Lebewesen (1988) nur zweimal zitiert, davon nur einmal im Zusammenhang mit einem fachlichen Argument, die geologischen Veröffentlichungen von J. Scheven (Karbonstudien 1986, Megasukzessionen und Klimax im Tertiär 1988) und sämtliche Literatur von W. Gitt bleiben ebenso unerwähnt wie die teilweise scharfe Evolutionskritik, die von Evolutionstheoretikern publiziert wurde (z. B.: M. Denton: Evolution: a theory in crisis. London 1985; R. Shapiro, A sceptics guide to the creation of life on earth. New York 1986; K. Dose, Präbiotische Evolution und der Ursprung des Lebens. Chemie in unserer Zeit, Bd. 21 (1987), S. 177–185).

2. Andererseits kann Jeßbergers sachliche Einzelkritik an Positionen der zitierten Autoren in vielen Fällen nicht zurückgewiesen werden, auch wenn man in Rechnung stellen muß, daß die Besprechung der einzelnen Argumente vornehmlich anhand populärer Literatur vorgenommen wird. Hier ist Selbstkritik am Platz. Unnötig vieles muß heute zurückgenommen werden – unnötig deshalb, weil die Rücknahme offenbar nicht augrund des Wissensfortschritts notwendig ist, sondern weil der jeweils aktuelle damalige Wissensstand nicht berücksichtigt und die Faktenbasis nicht in erforderlichem Maße abgeklärt worden war. Umso unerfreulicher ist die Feststellung, daß schöpfungstheoretische Korrekturen von Jeßberger nicht wahrgenommen wurden.

3. Von philosophischer (katholischer) Seite vorgetragene Kritik wird als kreationistisch beeinflußt gekennzeichnet. Auch der bis zuletzt eindeutig evolutionistisch eingestellte J. Illies wird als in späteren Jahren zum Kreationismus tendierend eingestuft. Statt einer Auseinandersetzung mit Argumenten erfolgt eine Schubladisierung, die m. E. unzutreffend ist, denn die Kritik dieser Autoren (R. Spaemann, J. Illies, A. Locker u. a.) kann nicht einfach mit dem Hinweis auf “kreationistische Beeinflussung” abgetan werden.

4. Die Besprechung von Detailargumenten (Kapitel 5) ist meist relativ oberflächlich. Eine fachlich tiefgehende Auseinandersetzung erfolgt kaum, stattdessen beruft sich der Autor unausgesprochen auf “die Lehrmeinung”.

5. Berechtige Anfragen gibt es zum Verhältnis von Glaube und Wissenschaft. Die fundierte Abklärung wissenschaftstheoretischer Fragen ist unsererseits noch nicht erfolgt. Hier gibt es Angriffsflächen (Gott als Lückenbüßer, als Täuscher). Jeßbergers Diskussion ist aber auch hier m. E. recht oberflächlich.

Jeßbergers Buch macht zum einen deutlich, daß schöpfungstheoretisch orientierte Autoren mehr auf die vorliegende Gegenkritik eingehen müssen und zum anderen, daß in vielen Bereichen nach wie vor erst noch eine Menge Grundlagenforschung betrieben werden muß, um gegen die geäußerte Kritik angehen können.

aus “Wort und Wissen Info 7” (Februar 1990)