Skip to main content

L. Vardiman, Andrew A. Snelling, Eugene F. Chaffin (Hg.): „Radioisotope und das Alter der Erde“

Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Fritzsche
Hänssler-Verlag Holzgerlingen, 2004, 308 S. DIN A 4, 73 Abb., 18 Tab.


Nachfolgend eine Rezension von Franz Egli-Arm:

Abgesehen vom zentralen Thema „Schöpfung – Evolution“ hat kaum ein anderes Thema der biblisch orientierten Schöpfungsforschung die Gemüter von Forschern beider Seiten, Befürwortern wie Kritikern biblisch begründeter Wissenschaft, so stark bewegt wie die Fragen um erdgeschichtliche Altersbestimmungen. Wer die Auseinandersetzung in Amerika zwischen Schulwissenschaft und Kreationismus etwas verfolgt hat, kann erkennen, daß sie mit harten Bandagen geführt wird, manchmal, mindestens in den Augen von uns Europäern, zu hart, zu polemisch – leider oft auch auf kreationistischer Seite. In Europa regt sich der Widerstand gegen eine Schöpfungsforschung, wie sie z.B. Wort und Wissen betreibt, erst seit kurzem, dafür aber massiv (s. z.B. Info 2/04 – Nr. 67/Juni 2004).

Zum hier vorgestellten Buch haben sechs Autoren fachlich beigetragen. Sie gehören allesamt dem amerikanischen Kreationisten-Kreis um die christliche Vereinigung CRS („Creation Research Society“) und die kalifornische Ausbildungs- und Forschungsstätte ICR („Institute for Creation Research“) an. Vor Erscheinen des Buches beschränkte sich der amerikanisch-kreationistische Beitrag zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen auf diesem Gebiet vor allem auf die Kritik der einzelnen Datierungsmethoden. In der schulwissenschaftlichen Fachliteratur wurde nach Unstimmigkeiten in den Methoden oder den Datierungen selber gesucht. Aus den Ergebnisse wurde – je nach persönlicher Vorsicht im Urteil – geschlossen, daß die erdgeschichtliche Altersdatierung nach Art der Schulwissenschaft sehr problematisch oder gar inakzeptabel sei. Eine gründliche Gesamtschau der zugänglichen Daten und Interpretationen sowie ein koordiniertes Programm für zukünftige eigene Forschungen waren jedoch nicht vorhanden. Das Buch füllt nun diese Lücke teilweise.

Die sechs Autoren bilden zusammen die RATE-Gruppe („Radioisotopes and the Age of The Earth“), die sich zum Ziel gesetzt hat, durch eigene Forschungsarbeit Fragestellungen zu untersuchen, die die Schulwissenschaft weitgehend ignoriert. Entsprechende Projekte werden im umfangreichen Anhang des Buches vorgestellt.

Sehr positiv ist den Autoren anzurechnen, daß sie die grundsätzlichen Konzepte der Isotopengeologie anerkennen (Beurteilung der Herkunft von Gesteinskomponenten anhand der isotopischen Zusammensetzung). Zwei Kapitel setzen sich mit Erkenntnissen auf diesem Gebiet auseinander. Auch daß während der Erdgeschichte viel radioaktiver Zerfall in den Gesteinen stattfand, wird ausdrücklich akzeptiert – ein Wandel in der Beurteilung schulwissenschaftlicher Erkenntnisse, der längst fällig erschien. Das hohe Ausmaß an Zerstörungsspuren, das der Alpha-Zerfall und der spontane Kernzerfall im Kristallgitter bestimmter Minerale hinterlassen haben, ist nur eines, aber das wichtigste Argument, das die Autoren zu diesem Umdenken veranlaßt hat. Der Beurteilungswandel hat natürlich Folgen: Ohne Annahme einer massiv erhöhten Zerfallsrate in gewissen Phasen der Erdgeschichte könnte ein Erdalter von 10 000 Jahren, wie es die meisten Autoren vertreten, nicht mehr aufrecht erhalten werden.

Der Hauptteil des Buches befaßt sich einerseits mit den schulwissenschaftlichen Modellen der Geodynamik, der Geochemie und darüber hinaus auch der Teilchenphysik, soweit sie mögliche Mechanismen des beschleunigten Kernzerfalls betrifft, anderseits mit Methodenkritik, die aber, im Gegensatz zur früheren Vorgehensweise, praktisch den gesamten Bereich heutiger, auf Kernzerfall beruhender Datierungsmethoden beleuchtet (mit Ausnahme der Kurzzeitmethoden wie 14C).

Die einzelnen Kapitel des Hauptteils sind dem Thema entsprechend gründlich recherchiert. Dies drückt sich auch in den umfangreichen Literaturlisten aus. Dabei ist positiv zu erwähnen, daß der Hauptanteil der Literaturreferenzen nicht aus dem kreationistischen Lager stammt, also nicht schon tendenziell vorgefiltert ist. Es lassen sich auch gute Ansätze für die in schulwissenschaftlichen Grundlagenpapieren üblichen Diskussionen ausmachen. In solchen Diskussionen werden in einer Art „Selbstgespräch“ unterschiedliche eigene oder von andern Autoren entwickelte Deutungen, Hypothesen oder gar Theorien, die zur Einordnung der Daten in bestehende oder noch auszuarbeitende Modelle dienen könnten, gegeneinander abgewogen. Diese für amerikanische Kreationisten bis dato eher unübliche Wissenschaftlichkeit kommt jener, die von Wort und Wissen angestrebt wird, recht nahe. Trotz der Mängel, die weiter unten beschrieben werden, hielten es die Verantwortlichen von WORT UND WISSEN deshalb für gerechtfertigt, eine deutsche Übersetzung herauszugeben.

Die Autoren verstehen ihr Buch als eine Arbeitsgrundlage. Sie stellen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Offen oder implizit wird z.B. in mehreren Kapiteln behauptet, daß die schulwissenschaftlichen Autoren Meßergebnisse, die nicht-konkor-dante Datierungen ergäben, unterdrücken, also nicht durch entsprechende Veröffentlichungen für die Allgemeinheit zugänglich machen würden („File-Drawer“-Problem). Keiner der Autoren befaßt sich aber ausführlicher damit, und keines der vorgestellten Projekte ist dazu ausersehen, diesem schwerwiegenden Vorwurf auf den Grund zu gehen.

Ein zweiter Problemkreis, der nicht zur Sprache kommt, ist der Zusammenhang mit den nicht auf Kernzerfall beruhenden Datierungsmethoden. Die angestrebte alternative Interpretation der Meßdaten, z.B. mittels beschleunigtem Kernzerfall, hat nur dann einen Sinn, wenn auch für die Ergebnisse dieser unabhängigen Datierungsmethoden (z.B. Dendro-, Warven-, Eisschichtenchronologie, in den Sedimenten eingeprägte astronomisch bedingte Klimaschwankungen) alternative Erklärungen gefunden werden können.

Eine weitere gewichtige Schwäche besteht im Umgang mit der Bibel. Die spezielle Art, Bibelstellen zu zitieren und zu interpretieren, mutet uns Christen im deutschsprachigen Raum teilweise befremdlich an. Zudem scheint es innerhalb des RATE-Autorenkreises praktisch keinen Interpretationsspielraum zu geben. Der Umgang mit der biblischen Urgeschichte, wie er beim amerikanischen ICR erkennbar ist, unterscheidet sich wesentlich von jenem von WORT UND WISSEN, auch wenn beide, ICR und WORT UND WISSEN, ähnliche Vorstellungen bezüglich zeitlicher Intervalle zwischen biblisch bezeugten Ereignissen vertreten. Erfreulicherweise soll eines der Zukunftsprojekte sich mit dem Thema Bibelinterpretation im Zusammenhang mit dem Erd-alter befassen.

Gesamthaft betrachtet bietet das Buch interessierten Leser/-innen eine fundierte Einsicht in die Problematik, biblische Urgeschichte mit Meßdaten der wissenschaftlichen Forschung in Einklang zu bringen sowie alternative Modelle zu deren Interpretation aufzustellen und zu festigen. Da in deutscher Sprache sonst nichts Vergleichbares existiert, schließt das Buch auch hier eine Lücke. Die Anforderungen an das Fachwissen der Leserschaft sind je nach Kapitel verschieden. Das Buch ist sicher kein Grundlagenwerk, das den Einstieg in die heute gängigen radiometrischen Datierungsmethoden gewährleistet. Somit sind gewisse Vorkenntnisse auf dem Gebiet der Isotopendatierungen von Vorteil. Immerhin können Leser/-innen, die mit der Fachsprache wenig vertraut sind, auf ein ausführliches Glossar zurückgreifen.