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Siegfried Zimmer: „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?“

Klärung eines Konflikts.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007


Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Junker:

Die kommentierenden Ausführungen des Rezensenten sind dunkelblau hervorgehoben.

„Wir können uns als Christen darauf verlassen, dass Gott durch die Bibel das bewirken wird, was er sich vorgenommen hat. Dieses Vertrauen eint alle Christen“ (19). Diese Wirkungseinheit zwischen Gott und der Bibel ist unbestritten (20). Mit diesen verbindenden Worten beginnt Siegfried Zimmer die Darstellung der Kontroverse im Bibelverständnis unter den Christen. Die Spaltung entsteht in der Frage, in welchem Verhältnis die Autorität der Bibel zur Autorität Gottes steht (20). Sogenannte „fundamentalistische“ Christen sehen hier keinen Unterschied, während „nichtfundamentalistische“ Christen die Autorität der Bibel gegenüber der Autorität Gottes relativieren; das sei aber keine Abwertung der Bibel, sondern um der einzigartigen Würde Gottes willen (22) und um der Ehre Gottes willen (35) notwendig. Dies herauszustellen ist beherrschendes Thema der ersten beiden Kapitel von Zimmers Buch.

Doch was wissen wir nach christlichem Verständnis von Gott außer den Dingen, die wir durch die Heilige Schrift empfangen? Natürlich ist der größer, der die Schrift gegeben hat als seine Gabe. Aber wenn hier ein Autoritätsunterschied gemacht wird, stellt sich die Frage, wie sich dieser Unterschied konkret äußert und mit welchen Kriterien wir ihn feststellen. Wir landen dann bei ganz anderen Fragen, nämlich bei denen, um die es eigentlich geht: „In welchem Verhältnis steht die Autorität der Bibel zur Autorität der Wissenschaft, zur Autorität der Vernunft, zur Autorität der Kirche und zur Erfahrung des Menschen?“ (20) Diese Fragen müssen anhand konkreter Beispiele behandelt werden und es wird sich zeigen, dass hier die Spaltungen auftreten, nicht in der Frage der Relativierung der Autorität der Bibel gegenüber der Autorität Gottes.

Gott und die Bibel

Im dritten Kapitel beschäftigt sich Zimmer mit der Unterscheidung von Gott und der Bibel. Er versteht die Unterscheidung zwischen der Autorität der Bibel und der Autorität Gottes differenzierend, nicht abgrenzend, das heißt nicht sich gegenseitig ausschließend. Nach Zimmers Auffassung missverstehen „fundamentalistische“ Christen diese Unterscheidung als abgrenzend (31).

Nicht die Bibel, sondern Gott sei der Bezugspunkt des Glaubens (44ff.). Nie werde im NT von einem Glauben an die Bibel gesprochen, nur davon, dass der Bibel geglaubt wird. „Damit macht das Neue Testament selbst einen deutlichen (kategorialen) Unterschied zwischen Gott bzw. Jesus Christus einerseits und der Bibel andererseits“ (47). Dies werde von der „fundamentalistischen“ Theologie nicht beachtet und hier sei sie nicht „bibeltreu“. Die Bibel sei ein Werkzeug Gottes und es gebe einen kategorialen Unterschied zu dem, der es benutzt: Gott.

Die angebliche Missachtung dieses Unterschiedes erscheint mir als Unterstellung. Natürlich glauben auch die sogenannten „fundamentalistischen“ Christen an Gott. Aber woher wissen sie und andere Christen etwas über ihn, um an ihn glauben zu können? Aus dem in der Bibel überlieferten Wort Gottes (siehe oben).

Zimmer weist auf den Grundzug Gottes hin, durch Schwachheit zu wirken. „Es wäre sehr merkwürdig, wenn er für die Bibel selbst nicht gelten würde“ (53, kursiv im Orig.). Daher müssten wir die Schwachheiten der Bibel nicht zudecken oder leugnen. „Eine fehlerlose und vollkommene Bibel würde Gottes Wirken auf eine Weise demonstrierbar und vorzeigbar machen, die zum verborgenen Gott und zum ‚Wort vom Kreuz’ nicht passt“ (54, kursiv im Orig.). „Man kann die Qualität der Bibel nicht auf weltliche Weise ‚demonstrieren’“ (54).

Ich stimme den letzten beiden Zitaten Zimmers zu, aber Schwachheit der Bibel muss sich keinesfalls in Fehlerhaftigkeit äußern. Diese implizite Gleichsetzung ist durch nichts begründet. Es stimmt, man kann die Qualität der Bibel nicht demonstrieren, aber woran liegt das? Nicht daran, dass sie sachliche Fehler beinhaltet, sondern daran, dass sie Aussagen macht, die bestritten werden können, von der Schöpfung angefangen bis zu den Taten Jesu. Man kann Argumente dafür aufbieten, dass die Bibel in ihren teilweise nachprüfbaren Aussagen falsch ist und man kann diese Argumente oft nicht im strengen Sinne widerlegen, sondern nur mit Plausibilitäten argumentieren (zum Beispiel im Bereich der biblischen Archäologie). Weil Gott auf unserer Erde konkret gehandelt hat und die Bibel darüber berichtet und ihre Schilderungen mit den Methoden der historischen Wissenschaften hinterfragt werden können, ist die Bibel der „Schwachheit“ unterworfen.

Zimmer hält demgemäß nichts davon, die Vollkommenheit Gottes auch auf sein Wort zu übertragen (54ff.). Es gebe keine biblische Grundlage dafür, dass die Bibel vollkommen sei (56). Wo in der Bibel von der Vollkommenheit des Wortes Gottes gesprochen wird, sei Vollständigkeit und Gesundheit gemeint (57f.). Aber passen dazu sachliche Fehler? Meines Erachtens kommt auf Seite 58 ein deutlicher argumentativer Sprung: „Die Behauptung, die Bibel sei vollkommen, ist Ausdruck eines Wunschdenkens. Man kann nicht erwarten, oder sogar verlangen, dass die Bibelwissenschaft dieses Wunschdenken mitmacht“ (58). Die Forschung habe gezeigt, dass dieser Wunsch nicht der Realität entspricht. Jetzt wird plötzlich die Wissenschaft zum Schiedsrichter! Wissenschaft ist aber kein objektives Unternehmen, sondern in Konventionen und kulturelle Rahmengegebenheiten eingebunden. Wissenschaft kann keinen Absolutheitsanspruch erheben. Daher ist es wirklich so: Die eigentliche Frage ist: „In welchem Verhältnis steht die Autorität der Bibel zur Autorität der Wissenschaft …“ (20). Hier steht nun tatsächlich unversehens die Autorität der Wissenschaft gegen die Autorität der Bibel. Da geht es nicht mehr um den kategorialen Unterschied zwischen Gott und der Bibel.

Interessant wären an dieser Stelle konkrete Beispiele dafür gewesen, an welche Unvollkommenheiten der Bibel hier gedacht ist. „Unvollkommenheit“ ist ein sehr dehnbarer Begriff. Zimmer nennt unterschiedliche Perspektiven und Interessen der Schreiber der Bibel (58). Ob man das überhaupt unter „Unvollkommenheit“ subsummieren sollte? Gehören auch sachliche Fehler dazu?

Zimmer versichert, dass „die Bibel uns in den heilsentscheidenen [sic] Aspekten“ zuverlässig leitet. Die Bibel brauche dagegen keinen „frommen Schutz“, dahinter steckten meistens Angst und Kleinglaube (59). Was zu unserem Heil wichtig ist, trete in der Bibel deutlich genug zutage, ein Fixiertsein auf absolute Fehlerlosigkeit der Bibel sei daher unnötig. In der Bibel gehe es um die Gottesbeziehung, „nicht um Unterricht in Geographie oder Physik“ (59).

Die Frage bleibt aber, wie die Glaubwürdigkeit der Bibel bewahrt werden kann, wenn sie fehlerhaft ist. Und vor allem stellt sich die Frage, welcher Art die Fehler sind. Zwischen einem fehlerhaften Ortsnamen und beispielsweise der Behauptung, Jericho sei nie von den Israeliten eingenommen, oder Paulus habe sich geirrt, wenn er von einem ersten Menschen spricht (Röm 5,12; Apg 17,26), spannt sich ein breiter Bogen. Zimmer lässt seine Leser im Unklaren darüber, welche Fehler er meint, die heilsrelevante Aspekte nicht berühren. Natürlich ist es richtig, dass es um die Gottesbeziehung geht, aber diese ist nicht losgelöst von der Frage, ob sich die Dinge so verhalten haben, wie sie die Bibel schildert. Der Hinweis, es gehe nicht um Geographie oder Physik grenzt schon an Polemik und lenkt von den eigentlichen Fragen ab. Das gilt erst recht für Zimmers rhetorische Frage, ob sich Gott nach unseren Wünschen betreffs der Fehlerlosigkeit der Bibel zu richten habe (59). Ebenso geht es an der Sache vorbei, wenn Zimmer fragt, ob Christen mehr von der Fehlerlosigkeit der Bibel leben oder von den Wirkungen, die Gott der Bibel verleiht (59). Das sind doch keine Alternativen! Wer der Bibel misstraut, wird von ihr wenig erwarten mit der Folge, dass das biblische Wort seine Wirkung weniger entfalten kann. Wer wird sich überhaupt existentiell auf die biblischen Texte einlassen, wenn er sich nicht auf ihre Aussagen verlassen kann? Und bei demjenigen, der sich nicht (mehr) mit der Bibel beschäftigt, wird sie keine Wirkung erzielen können. Diese Frage zu stellen ist auch kein Schreckgespenst, wie Zimmer meint, sondern folgerichtig. Denn darin steckt die Frage, nach welchen Kriterien welche Aussagen der Bibel als glaubwürdig eingestuft werden und welche nicht. Dann sind wir wieder ganz schnell bei der Frage: „In welchem Verhältnis steht die Autorität der Bibel zur Autorität der Wissenschaft …“ (20).

Angst und Kleinglaube als Motiv zu behaupten (s. o., auch auf S. 62 und 99 sowie 127 „Gefühl der Bedrohung“) ist unschön, denn wer will schon ein Angsthase und kleingläubig sein? Auch das lenkt nur von der eigentlichen Problematik ab. Denn biblischer Glaube gründet auf Tatsachen, die Gott durch sein Wirken gesetzt hat. Wenn sich diese Tatsachen als falsch erweisen würden, wäre der Glaube folgerichtig gefährdet und die Angst wäre begründet. Nur ein Glaube ohne Realitätsbezug braucht diese Befürchtungen nicht zu haben, aber ein solcher Glaube wäre inhaltsleer und damit belanglos.

Im Fazit des dritten Kapitels schreibt Zimmer: „Je mehr ich meinen Glauben auf Gott konzentriere, desto lernfähiger werde ich in Bezug auf die Bibel“ (62). Wieder stellt sich die Frage, worauf der Glaube gründet. Natürlich auf das geschriebene Wort, denn nur dieses vermittelt Wissen über Gott, auf das sich der Glaube beziehen kann. Zimmer befürchtet, dass die Lernbereitschaft in Bezug auf die Bibel nachlässt oder ganz verloren geht und dass der Glaube bildungsfeindlich werde, wenn man sich auf die Fehlerlosigkeit der Bibel fixiert (62). Dies mag eine reale Gefahr sein, aber sie resultiert nicht aus dem „fundamentalistischen“ Bibelverständnis und sie sie bedroht Christen mit unterschiedlichen Haltungen zur Bibel. Die „fundamentalistisch“ denkenden Christen müssen am Ende des dritten Kapitels einiges an unerfreulichen Einschätzungen über ihre Haltung ertragen.

Jesus Christus und die Bibel

Das vierte Kapitel ist ähnlich wie das dritte. Nun geht es um die Unterscheidung von Jesus Christus und der Bibel. Jesus Christus hat einen höheren Rang als die Bibel (64), Jesus hat eine himmlische Herkunft, nicht die Bibel (65); die Bibel ist kein Teil des Glaubensbekenntnisses (69); Jesus Christus ist die entscheidende Offenbarung, nicht die Heilige Schrift (73) usw.

Das ist alles richtig, aber wieder gilt: Wir Heutige wissen alles das nur durch die Bibel. Daran ändert auch der Hinweis von Zimmer nichts, dass in der Bibel an keiner Stelle mit dem Wort „offenbaren“ eine bestimmte Schrift gemeint sei (75). Dies trifft außerdem nicht ganz zu, denn in Jer 25,13 heißt es: „Und ich werde bringen über jenes Land alle meine Worte, die ich geredet habe gegen es, all das Geschriebene in dieser Rolle, das prophezeit hat Jeremia gegen alle Nationen“; vgl. auch 2Thess 2,15: „Steht fest und haltet die Überlieferungen, die ihr gelehrt worden seid, sei es durch Wort oder durch unseren Brief“. Die Bibel ist trotz Zimmers Hinweis das Medium, durch das wir heute Kenntnis von der Offenbarung bekommen: Wieder und wieder betont Zimmer den Unterschied zwischen Jesus Christus und der Bibel, aber es ist nicht klar, was dieser Unterschied konkret austrägt. Zum Beispiel schreibt Zimmer, Jesus sage an keiner Stelle: „Wer mich liebt, der wird die Worte der Heiligen Schrift halten“ (77). Ja, er wird natürlich Jesu Wort halten. Und wo finden wir heute dieses Wort? Ausschließlich in der Heiligen Schrift.

Schließlich kommt Zimmer im Abschnitt 4.4 genau auf diesen Punkt selbst zu sprechen: „Wie wird diese Offenbarung den Menschen bekannt gemacht?“ (83). Neue Aspekte kommen in diesem Abschnitt aber nicht zur Sprache. Vieles ist Wiederholung des zuvor Gesagten. Ein Beispiel: „Wenn jemand auf Widersprüche oder Fehler in den neutestamentlichen Texten hinweist, bedeutet das nicht, dass er die Offenbarung Gottes in Jesus Christus für fehlerhaft oder widersprüchlich hält“ (90). Nur, was macht das für einen Unterschied? Uns steht nun einmal nur dieses Wort zur Verfügung. Wir können keinen Vergleich zwischen der eigentlichen Offenbarung und dem geschriebenen Wort ziehen, oder auf andere Weise die eigentlichen Offenbarung erschließen. Oder doch? Dann stellt sich wieder die Frage nach den Kriterien. Das sind dann die interessanten und entscheidenden Fragen, aber sie werden von Zimmer nicht gestellt.

Zimmer fragt dann erneut in Abschnitt 4.5: „Wie kann Jesus Christus einen höheren Rang als die Bibel haben, wenn wir doch alles Wichtige über Jesus Christus allein aus der Bibel wissen?“ (91) Das ist genau der Punkt. Natürlich gäbe es ohne Jesus Christus auch keine Bibel und natürlich hat Jesus Christus eine Vorrangstellung vor der Bibel. Doch das an sich hat keine praktische Konsequenz. Die entscheidende Frage wäre doch gewesen: Mit welchen Kriterien finde ich den Unterschied heraus zwischen dem, was Jesus Christus tatsächlich verkörpert und dem, was in der Bibel über ihn steht? Offensichtlich können die biblischen Texte selber hier keinen Schlüssel bieten, weil sie praktisch die einzige Information über Jesus Christus bereithalten. Genau diese Frage behandelt Zimmer nicht und verfehlt damit den Untertitel seines Buches „Klärung eines Konflikts“. Eine entscheidende Frage des Konflikts bleibt also ungeklärt.

Auch die in Abschnitt 4.6 zurecht herausgestellte Tatsache, dass Jesus Christus die Mitte und der Maßstab der christlichen Bibelauslegung ist (93ff.), eignet sich aus demselben Grund nicht als Kriterium. Wenn Zimmer schreibt, es sei angebracht zu fragen, was Jesus zu bestimmten Bibeltexten gesagt hätte, stellt sich die Frage: Wie sollen wir darauf antworten, wenn wir uns doch nur an die Bibel halten können, weil wir nur in ihr Dinge über Jesus erfahren können? Zimmer meint, wir könnten nicht mehr alle Geschehnisse, die in den biblischen Texten auf Gott zurückgeführt werden, tatsächlich auf Gott zurückführen, weil Jesus die Dinge anders sehen würde. Denn Jesus hätte z. B. nicht alle erstgeborenen Söhne der ägyptischen Bevölkerung erwürgt, weil der Pharao verstockt war (94). Woher weiß Zimmer das? Hier betreibt er plötzlich Sachkritik an der Bibel, die er nicht biblisch begründen kann, auch nicht durch die Vorrangstellung Jesu und seine zentrale Bedeutung, sondern nur durch seine subjektive Meinung, was Jesus wohl getan oder nicht getan hätte. Wenn man dazu bedenkt, dass Jesus das AT nie kritisiert hat, wird dies erst recht deutlich. Zimmer hat recht, wenn er sagt, dass kein Satz der Bibel an Jesus Christus vorbei Autorität erhalten darf (94). Jesus hat aber die Autorität des AT grundsätzlich bejaht (vgl. John Wenham: „Jesus und die Bibel“, Hänssler 2000; Armin D. Baum: „Das Schriftverständnis Jesu: Ein exegetisches Mosaik.“ Jahrbuch für evangelikale Theologie 16, S. 13-32).

Interessant wäre hier zu erfahren, wie sich Zimmer zu einem Brennpunkt des „Konflikts“ äußert: zu Jesus Bestätigung dessen, was in dem ersten beiden Kapiteln der Bibel über die Erschaffung von Mann und Frau und über das Hartherzig-Werden des Menschen gesagt wird (Mt 19,3-8). Der Satz „Jesus Christus treu zu sein ist wichtiger, als der Bibel treu zu sein“ (96) ist daher eine Scheinalternative. „Nur dort, wo wir Jesus Christus treu bleiben können, dürfen wir auch der Bibel treu bleiben“ (96), meint Zimmer. Nein, es gilt anders herum: Wenn wir Jesus Christus treu bleiben wollen, werden wir wie er auch der Bibel treu bleiben.

Zimmer bringt dann auf den Seiten 97-99 einige Stellen aus dem NT, die den Vorrang Jesu vor der Bibel beinhalten (z. B. Mk 9,2-10; Mt 11,27; Mt 28,16-20; Joh 14,26; Phil 3,16ff.; Kol 1,17-19; Eph 1,22f.; Hebr 1,3). Doch alle diese Stellen erlauben es nicht, einen Maßstab zur Unterscheidung von Richtigem und Falschem in der Bibel zu begründen. So gesehen gehen alle Ausführungen zur Vorrangstellung Gottes oder Jesu vor der Bibel am eigentlichen Konflikt (was ist falsch in der Bibel und warum?) vorbei.

Im Zusammenhang des Verhältnisses von Jesus Christus und der Bibel kann man noch auf eine mögliche Parallelität zwischen Christus und der Schrift hinweisen. So wie die Juden daran Anstoß nahmen, dass Jesus den Anspruch erhob, Gottes Sohn zu sein, also Gott in der Welt in ganz weltlich-diesseitiger Gestalt, so nimmt der Mensch auch Anstoß daran, dass ein menschliches, geschichtliches Wort Gottes Wort sein soll. Der Charakter der Schrift als Wort Gottes ergibt sich aus der Theopneustie. Muss Gott, wenn er in Menschenworten redet, zwangsläufig Fehler und Irrtümer in Kauf nehmen, die die Menschen nun einmal teilen? Oder kann er mit dem menschlichen Wort in seinem Mund den Nebel des Irrtums spalten?

Die Bibel und Gottes Wort

Dass Jesus Christus Mitte und Maßstab der Bibel ist, ist dennoch wichtig, aber das erlaubt nur eine Unterscheidung zwischen wichtig und weniger wichtig, nicht aber zwischen richtig und falsch. Das muss auch die Antwort auf das in Kapitel 5 Gesagte sein, in dem Zimmer fragt, inwiefern die Bibel Gottes Wort ist. Ja, Gottes Wort ist selbstverständlich umfassender als die Bibel. „Die Bibel relativiert sich selbst gegenüber dem Wort Gottes“ (107; kursiv im Orig.) – aber inwiefern? Ist die Bibel eine Teilmenge von Gottes Wort oder umgekehrt oder gibt es eine nichtleere Schnittmenge von Bibel und Gottes Wort? Diese entscheidende Frage bleibt soweit ich sehen kann in Zimmers Buch unbeantwortet. „Zum lebendigen Wort gehört der Tonfall der Stimme, gehören Gestik, Mimik und Körperhaltung“ (110). Dieses Wort hatten so aber nur die Zeitgenossen Jesu. Da wir das mündliche Wort Gottes, das einst durch Propheten und Apostel ausgerichtet wurde, nicht mehr haben, sind wir allein auf ihr schriftlich vorliegendes Gotteswort angewiesen.

Die Inspiration der Bibel

Kapitel 6 handelt von der Inspiration der Bibel. Hier geht es Zimmer darum, Inspiration nicht mit Fehlerfreiheit gleichzusetzen (129). Nach Ausführungen über das Inspirationsverständnis der Alten Kirche und der protestantischen Orthodoxie kommt er auf das Inspirationsverständnis des protestantischen Fundamentalismus zu sprechen und vergleicht dieses mit dem Schriftverständnis des Islam. Er sieht hier strukturelle Gemeinsamkeiten: Ablehnung jeder Relativierung der Heiligen Schrift, die Heilige Schrift als entscheidende Offenbarung, bedingungsloser Gehorsam gegenüber der Schrift und Ablehnung einer wissenschaftlichen Erforschung (133). Diese Gemeinsamkeiten sprächen für sich (134), schreibt Zimmer, ohne das genauer zu erläutern. Auf S. 136 wirft der Autor die Frage auf, ob jeder Erzählung, weil sie in der Vergangenheitsform erzählt ist, auch geschichtlich gemeint sei. Er selbst gibt zuvor die Antwort: „Diese Frage kann nur die Bibel selbst beantworten“ (135). Hier wären wieder verschiedene Beispiele wünschenswert gewesen, um einschätzen zu können, was das konkret bedeutet. Zimmer bringt später dazu das Beispiel des Hiobbuchs, wo er eine Reihe von Beobachtungen am Text nennt, die dafür sprechen, dass das Buch Hiob literarisch und nicht geschichtlich zu verstehen sei (Teil II, Kapitel 1). Es gibt dazu auch Gegenargumente. Angesichts der Tatsache, dass die Historizität weiter Teile der Heiligen Schrift mit bibelwissenschaftlichen Argumenten bestritten wird, wäre es auch hier wieder wünschenswert gewesen, anhand verschiedener Beispiele vorgeführt zu bekommen, warum bestimmte Texte der Bibel, die den deutlichen Anschein erwecken, sie seien historisch gemeint, in Wirklichkeit nicht historisch gemeint sein sollen. Was ist mit der Urgeschichte, mit der Vätergeschichte, mit Israels Zeit in Ägypten usw. bis zum Kommen Jesu, seinen Wundertaten und seiner Auferstehung und mit der Geschichte der jungen Gemeinde? Immerhin stellt Zimmer fest (138): „Der Bezug der biblischen Botschaft zur Geschichte ist grundlegend und unaufhebbar.“ Oft wird der historische Charakter der Texte aber gar nicht mit Beobachtungen an den Texten bestritten, sondern anhand anderer Kriterien. Hier liegt der Kernpunkt der Kontroverse.

Vielfalt der Sprachformen

Das 7. Kapitel widmet sich der Vielfalt der biblischen Sprachformen und Textsorten, das 8. der Entstehung und Entwicklung der modernen Bibelwissenschaft. Darin erläutert der Autor den Wandel im historischen Denken im Laufe der Jahrhunderte. „Der bibelwissenschaftliche Exeget versteht sich als Anwalt des Bibeltextes gegenüber allen sachfremden Interessen“ (153). Dazu müsse zuerst die Bibel aus ihrer Zeit heraus verstanden werden. Auf die Bibel müssten normale weltliche Methoden angewendet werden (154). Zimmer führt zur Frage hin, ob man inhaltliche Kritik an der Bibel üben dürfe. Das sei in der Tat möglich, aber nur von der Autorität Jesu her, die der Bibel übergeordnet ist (155). Die damit verbundenen Fragen wurden weiter oben bereits angesprochen. Zimmer kommt zu eigenartigen Schlussfolgerungen: Die Feststellung von historischen Fehlern in der Bibel sei keine Kritik an der Bibel, sondern nur eine Feststellung. An Fehlern in der Bibel störe sich in der wissenschaftlichen Theologie niemand mehr. Dieser Tatbestand ändere nicht an der Qualität der Bibel und der Glaubwürdigkeit ihrer heilsgeschichtlichen Aussagen (156). Das aber scheint mir ein irrationaler Sprung zu sein, denn selbstverständlich kratzen Fehler an der Qualität und Glaubwürdigkeit. Und wieder muss man die Frage stellen, an welche Art von Fehlern Zimmer denkt. Er nennt „historische und geographische“ Angaben (156), aber um welche Dimension handelt es sich dabei? Ein fehlerhafter Ortname ist doch von einem ganz anderen Kaliber als die „Feststellung“, Paulus habe sich im Römerbrief (5,12ff.) und auf dem Areopag in Athen (Apg 17,26) geirrt, als er von einem ersten Menschen sprach.

Durch die unkonkrete, allgemein formulierte Behauptung, Fehler seien tolerierbar, bleibt es dem Leser überlassen, wo er Grenzen ziehen möchte. Könnte es nicht sein, dass die Behauptungen von Fehlern in der Bibel kritisch zu hinterfragen wären, auch wenn solche Behauptungen plausibel erscheinen? Wird man mit der Auffassung, Fehler seien nicht weiter problematisch, die Kraft aufbringen, eine Kritik der Kritik anzugehen?

Das Buch schließt mit dem kürzeren Teil II – „Ausgewählte Brennpunkte“: dem biblischen Beispiel des Buches Hiob, biographischen Aspekten in der Auseinandersetzung um die Bibelwissenschaft sowie mit der Frage, wie wichtig es sei, was Christen im Blick auf die Bibel eint.

Fazit

Der Titel des Buches lautet „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?“ Die Antwort kann nur sein: Es kommt darauf an, wie sie betrieben wird. Die „Wissenschaft“, so wie sie in Zimmers Buch dargestellt wird, gefährdet den Glauben insofern, als das, worauf er sich verlässt, nicht eindeutig ist. Und was ist, wenn sich Ergebnisse bibelwissenschaftlicher Forschung und historische Schilderungen der Bibel widersprechen? Wie geht man damit dann um? Das ist Teil des wirklichen Konflikts, nicht der Unterschied zwischen der Autorität Jesu und der Autorität der Bibel. Da dieser eigentliche Konflikt in Zimmers Buch allenfalls am Rande thematisiert wird, trifft der Untertitel „Klärung eines Konflikts“ den Inhalt des Buches nicht.