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Warum die Feuerameisen im Kollektiv nicht untergehen

von Michelle Noe

Studium Integrale Journal
22. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2015
Seite 34 - 36


Zusammenfassung: Starker Regen und Hochwasser können für Ameisen existentielle Bedrohungen darstellen. Wassermassen können eine ganze Kolonie auslöschen. Rote Feuerameisen wissen sich zu helfen. Diese kleinen Lebewesen haben je nach Gattung ein ausgeklügeltes System, bei dem sie ihre Körper geschickt einsetzen, um das Überleben der Gruppe zu sichern. Neue Studien zeigen, dass ihr Sozialverhalten noch sehr viel ausgefeilter ist als bisher bereits bekannt.


David Hu vom Technology Institute von Georgia, USA hat mit seinen Kollegen Nathan Mlot und Paul Foster über Verhaltensweisen der Roten Feuerameise (Solenopsis invicta) bei Überschwemmungsgefahr geforscht und präsentiert erstaunliche Ergebnisse.

Für eine Rote Feuerameise ist das leichte Trommeln auf der Erde, welches bei Regen entsteht, das Warnsignal für Gefahr durch Wasser und einer daher eventuell bald nahenden Überschwemmung. Daraufhin fangen die einzelnen Tiere sofort an sich zu versammeln und schaffen aus ihren Körpern ein Gebilde, welches es ihnen ermöglicht, als Ameisenhaufen auf der Wasseroberfläche wie ein lebendes Rettungsfloß zu schwimmen (Abb. 1). Darüber hatten die Forscher bereits in einer früheren Arbeit berichtet (Mlot et al. 2011; vgl. die zusammenfassende Darstellung von Kolrep 2011).

Abb. 1: Das höchst erstaunliche Ameisenfloß. (© Tim Nowack, Nathan Mlot und David Hu, Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

Um nun diesen Vorgang des Aufbaus des Rettungsfloßes besser erforschen zu können, haben die Forscher darauf gewartet, bis die untersuchten Tiere – aufgrund äußerer Einflüsse – sich zu einem Floß zusammenfügten und sie dann mit flüssigem Stickstoff schockgefroren (Foster et al. 2014; Knight 2014). Das dadurch erstarrte Gebilde aus Ameisenkörpern untersuchten sie dann mittels Computertomographie. Sie erstellten damit 3D-Bilder, anhand derer sie untersuchen konnten, wie die Tiere sich miteinander verbunden hatten.

Abb. 2: Die Ameisen benutzen ihre Beine und Mundwerkzeuge, um Verbindungen zu den Nachbarn herzustellen. Das elektronenmikroskopische Bild zeigt Krallen und Haftpolster, verbunden mit einem Bein. (Aus Foster et al. 2014)

Dabei fanden sie heraus, dass die Feuerameisen weniger ihre Mundwerkzeuge benutzen als vielmehr ihre Beine, bei denen jeweils zwei Klauen und ein Haftpolster (Haftapparat) helfen, sich aneinander festzuhalten (Abb. 2).

Bei 99 % der Ameisen kommen alle sechs Beine zum Einsatz, wodurch stabile Verbindungen entstehen. Eine einzelne Ameise schafft durch Verhaken mit anderen Tieren im Durchschnitt 14 Verbindungen; sechs durch ihre eigenen Beine und acht durch Beine ihrer Nachbarn. Große Ameisen können sogar bis zu 20 Verhakungen erreichen. Kleinere Ameisen – die im Durchschnitt nur acht Verbindungen haben – werden dafür genutzt, um die Lücken zwischen den größeren Ameisen zu füllen.

Abb. 3: Die Ameisen verhaken sich nach einen ausgeklügelten System. Blau sind von einem Individuum ausgehende Verbindungen, rot die angeschlossenen Verbindungen. (Aus Foster et al. 2014)

Erstaunlich dabei ist, dass jede einzelne Ameise genau weiß, wo ihr Platz ist und in welchem Winkel sie sich zu ihren Kollegen befinden muss (vgl. Abb. 3). Die Tiere ordnen sich dabei nicht parallel zueinander an, sondern senkrecht. Dabei bilden sie eine Art T-Kreuzung, wodurch ein stabiles schwimmendes Floß entsteht. Diese Kooperation zeigt, dass die Ameisen über nicht geahnte Reaktions- und Verständigungsmöglichkeiten verfügen. Selbst durch das Einwirken eines Fremdkörpers (Ast, Stein, Regentropfen / Pinzette) werden die erzeugten Verbindungen und damit das Floß nicht zerstört; daran zeigt sich die hohe Stabilität. Warum jede Ameise genau weiß, wo sie sich innerhalb dieses Haufens einpassen muss, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. Es ist jedoch deutlich ersichtlich, dass die Art der Verhakungen optimale Schwimmeigenschaften ermöglicht.

Die netzförmige Anordnung schließt Luft innerhalb der Ameisenkörper ein, was ihnen Auftrieb und Atmung ermöglicht und Wasser verdrängt. Dabei drücken sich die Ameisen mit ihren verzahnten Beinen aktiv voneinander weg, um die Dichte des Floßes zu verringern und die Abstände zu vergrößern, wodurch genügend Platz für Luft geschaffen wird. Dazu kommt, dass die Körperoberfläche der Ameise eine wasserabweisende Cuticula besitzt. Unter Wasser schließen die Tiere dann mit Hilfe ihrer Cuticulaborsten zusätzlich Luftblasen ein, die ihnen eine ausreichende Sauerstoffversorgung garantieren. Zwischendurch lösen sich die Tiere,die in Höhe des Wassers liegen, gelegentlich mit denen ab, die oben auf liegen. Auf einem solchen Floß befinden sich auch Ameisenlarven, welche sogar noch mehr Luftblasen zwischen sich bilden können als ausgewachsene Ameisen. Deshalb sind Gebilde mit höherer Larvenanzahl auch stabiler.

Abb. 4: Das Ameisenfloß ist äußerst robust und verkraftet erhebliche Störungen. (© Tim Nowack, Nathan Mlot und David Hu, Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

Die Wissenschaftler bezeichnen den schwimmenden Ameisenhaufen als Biwakfloß. Es kann einen Durchmesser von bis zu 45 cm haben. Selbst hohe Wellen können dieser Konstruktion nichts anhaben. Die Kolonie treibt solange auf der Wasseroberfläche, bis sie wieder festes Land erreicht. Dann löst sich das Biwakfloß auf.

Positionierung der Ameisen zueinander, Vergrößern der Lücken durch aktives Wegdrücken, Einsatz kleinerer Ameisen in den Lücken zwischen den größeren und Bestückung mit Larven sind aufeinander abgestimmt.

Es ist faszinierend, welch ausgeklügeltes System die Ameisen als erfolgreiche Überlebensstrategie verwenden. Dazu gehören die zweckmäßige Positionierung der Ameisen zueinander, das Vergrößern der Lücken durch das aktive Wegdrücken, der Einsatz der kleineren Ameisen, um die Lücken zwischen den größeren Ameisen zu füllen und schließlich die Bestückung des Floßes mit Larven, durch die noch zusätzliche Luftbläschen gebunden werden.

Besonders inspirierend sind diese Erkenntnisse in Bezug auf Entwicklungen in der Technik. Die Ameisen regen die Entwicklung sich selbst zusammenbauender sowie selbst heilender Materialien an, da sie auf schnelle Weise Kooperation und Verbindungen untereinander schaffen, je nach herrschenden Umwelteinflüssen. So könnte man anhand dieser Vorlage Roboter bauen, die sich bei Hochwasser selbstständig verbinden und somit Brücken schaffen.

Einmal mehr lehrt uns die Schöpfung, wie Probleme gelöst oder auf Störungen effektiv reagiert werden kann. Auch und gerade in den kleinsten Lebewesen stecken erstaunliche Fähigkeiten und eine überraschende Kreativität.


Literatur

Foster PC, Mlot NJ, Lin A & Hu DL (2014)
Fire ants actively control spacing and orientation within self-assemblages. J. Exp. Biol. 217, 2089-2100.
Knight K (2014)
How fire ant architects connect to build balls. J. Exp. Biol. 217, 2029.
Kolrep KU (2011)
Das lebende Rettungsfloß. Stud. Integr. J. 18, 104-105.
Mlot NJ, Tovey CA & Hu DL (2011)
Fire ants self-assemble into waterproof rafts to survive floods. Proc. Natl. Acad. Sci. 108, 7669-7673.


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