Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 7. Jg. Heft 2 - Oktober 2000


"...wie Nimrod, ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn!"
Ist der biblische Nimrod eine historische Persönlichkeit?

von Peter van der Veen und Uwe Zerbst

Studium Integrale Journal
7. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2000
Seite 75 - 80



Zusammenfassung: Nach der Genesis, dem 1. Buch Mose des Alten Testaments, war er der erste große Herrscher nach der verheerenden Flut. Nimrod, "der große Jäger" - wer war dieser Mann? Man wird wohl davon ausgehen müssen, daß diese Frage nie eine wirklich befriedigende Antwort finden wird. Und doch gibt es erstaunliche Ähnlichkeiten zu einer Reihe außerbiblischer, altorientalischer Überlieferungen. Im vorliegenden Aufsatz zeichnen die Autoren Parallelen zwischen dem biblischen Nimrod und der mesopotamischen Gottheit Ninurta nach, wie sie von einer großen Anzahl von Forschern vertreten werden. Im Anschluß gehen sie die Frage an, wie dieser Befund gedeutet werden könnte und stellen die These auf, daß Nimrod/Ninurta ein wirklicher Mensch war, der in der antiken Mythologie - anders als in der Bibel - postum zum Gott erhoben wurde.





Wenige Gestalten haben die Phantasie der Menschen über Jahrtausende so angeregt, wie Nimrod, von dem es in der sog. Völkertafel des Alten Testaments (Genesis 10) heißt, er sei - wenige Generationen nach der großen Flut - "der erste Gewaltige auf der Erde" gewesen. Wer war dieser Nimrod? War er eine sagenhafte Göttergestalt oder eine historische Persönlichkeit? Oder war er vielleicht beides: ein Mensch, der aufgrund seiner außergewöhnlichen Taten von späteren Generationen als Gott verehrt wurde? So zahlreich wie die Fragen sind die Antworten, die seit dem Altertum und bis in die jüngste Zeit immer wieder versucht wurden. Man meinte in Nimrod einen Gott wie Marduk, einen Halbgott wie Gilgamesch oder auch einen Sterblichen wie Sargon von Akkad, Amenhotep III. (Neb-Maat-Re), Tukulti-Ninurta I., Ben-Hadad, oder Enmerkar zu erkennen. Es bedarf keiner besonderen Erörterung, daß die meisten dieser Entwürfe ein mehr oder weniger ausgeprägtes spekulatives Element aufweisen.

Die folgende Betrachtung soll sich auf einen Teilaspekt der Nimrod-Diskussion beschränken: auf den Vergleich zwischen Nimrod und der mesopotamischen Gottheit Ninurta, wie ihn eine größere Anzahl mit der Thematik befaßter Forscher seit längerem angestellt hat. Speziell angeregt wurden die Autoren durch zwei Veröffentlichungen: "Nimrod before and after the Bible" (1990) der niederländischen Gelehrten K. van der Toorn und P. van der Horst, und die umfangreiche Monographie des belgischen Wissenschaftlers J. van Dijk "Lugal du me-lam-bi nirgal" (1983).

Ausgehend von einer Reihe von Parallelen zwischen Nimrod und Ninurta wird im Anschluß eine Deutung versucht, die der biblischen Darstellung gerecht wird, ohne jedoch auf weitergehende Identifikationsversuche mit historischen Persönlichkeiten Bezug zu nehmen.

 



Es mag auf den ersten Blick überraschend sein, Nimrod und Ninurta in einem Atemzug zu erwähnen. Der biblische Bericht von Nimrod umfaßt gerade einmal sechs kurze Sätze und schildert Nimrod als einen sehr bedeutenden Herrscher, der aber nichtsdestoweniger nur ein Mensch war. Die besondere Stellung Nimrods unter den Menschen wird stilistisch durch einen Einschub im Text hervorgehoben. In Genesis 10, 8-12 heißt es:

"Und Kusch zeugte Nimrod. Der war der erste Gewaltige auf der Erde. Er war ein gewaltiger Jäger vor dem HERRN. Darum sagt man: Wie Nimrod, ein gewaltiger Jäger vor dem HERRN! Und der Anfang seines Königreiches war Babel und Erech und Akkad und Kalne im Lande Schinar. Von diesem Land zog er nach Assur und baute Ninive und Rehobot-Ir und Kelach und Resen zwischen Ninive und Kelach, das ist die große Stadt."

und in 1. Chronik 1, 10 wiederholt der Chronist:

"Und Kusch zeugte Nimrod, der fing an, ein Gewaltiger auf der Erde zu sein."

Dies ist alles, was die Bibel über Nimrod berichtet. In deutlichem Kontrast zu dieser betont nüchternen Darstellung steht die Ninurta-Tradition des Alten Orients. Ninurta ist ein Gott, dessen Taten in zahlreichen Mythen geschildert und dessen Name in verschiedenen religiösen Hymnen gepriesen wird. So heißt es im "Hymnus an Ninurta als dem Gott der Vegetation":

"Guten Samens, guten Samens, König, den Enlil mit Namen benannt hat, Guten Samens, guten Samens, Ninurta, den Enlil mit Namen benannt hat:

Mein König, deinen Namen will ich (preisend) nennen, Ninurta, ich, dein Mann, dein Mann, will deinen Namen (preisend) nennen!

Mein König, das Mutterschaf hat das Lamm geworfen, das Mutterschaf hat das Lamm geworfen, das Mutterschaft hat das ...[......]-Lamm geworfen: Deinen Namen will ich (preisend) nennen!

Mein König, die Ziege hat das Zicklein [geworfen], [die Ziege hat das Zicklein] geworfen, [die Ziege hat das ..... - Zicklein geworfen]: [Deinen Namen will ich preisend nennen]!

M[ein] König, [..............], König, Sohn [Enlils, deinen Namen will ich preisend nennen]!

Den Kanal füllst du [mit dauerndem Wasser], läßt auf dem Felde scheckige Gerste' wachsen, füllst den Teich mit Karpfen und Barsch, läßt im Röhricht Schilf und Binsen wachsen, füllst die Wälder mit Wildschafen, läßt in der Steppe Tamarisken wachsen, füllst Obstpflanzung und Garten mit Honig und Wein, läßt im Palast langes Leben sprießen." (Aus Falkenstein & von Soden 1953, S. 59-60)

Ninurta ist der sumerische Gott des Südwindes und als solcher der Gott des Krieges, der das rebellische Land zerstört. Er ist der Rächer seines Vaters, des Gottes Enlil. Auf der anderen Seite ist er Enlils "Bauer", der dem Lande Fruchtbarkeit, Reichtum und langes Leben schafft. Schließlich ist er der große Jäger, der das Land vor allerlei Bestien und Ungeheuern schützt. Sein Palast soll in der alten Stadt Nippur gestanden haben, wo er im "E-kur", dem "Haus des Berges" angebetet wurde. V.a. als Jagd- und Kriegsgott wurde Ninurta seit Assurnasirpal II. (883-859 v. Chr.) in Assyrien als Hauptgottheit verehrt. Der Assyrerkönig Sanherib wurde im Jahre 681 v.Chr. im Tempel seines Gottes Nisroch (Ninurta?), ermordet, nachdem er zuvor vergeblich Jerusalem belagert hatte (2 Kö 19,37; Jes 37,38).

Was sollten der Mensch Nimrod und der Gott Ninurta gemein haben? Im Folgenden sollen einige auffällige Parallelen aufgelistet werden.

Der Name

Abb. 1: Zeile 683 aus dem LUGAL-e Mythos (unten) mit dem Götternamen "Ninurta" großgeschrieben.
Abb. 1
Da ist zunächst der Name Ninurta, der in verschiedenen Formen vorkommt (Abb. 1). Sumerisch heißt er Nin-urta, auf akkadisch Ninurta, Inurta, Nurti oder auch Urti. Wiseman schlägt darüber hinaus als Zwischenform Nimurda vor, was bereits stark an das biblische Nimrod anklingt. Manche Gelehrte vertreten aber die Meinung, daß bereits die Ähnlichkeit zwischen der Grundform Ninurta und Nimrod so stark ist, daß eine Verwandschaft der Namen sehr wahrscheinlich ist. Wichtig ist, daß es sich sowohl bei "Nimrod" als auch bei "Ninurta" um Namenspiele handelt, die das Wesen der Person oder seine besondere Bedeutung zum Ausdruck bringen sollen. Sollte es sich um eine historische Persönlichkeit handeln, so ist diese nachträgliche Bezeichnung sehr wahrscheinlich nicht mit dem Namen identisch, den sie zu Lebzeiten trug. Nimrod bedeutet auf Hebräisch: "Wir wollen rebellieren", Ninurta wahrscheinlich: "Herr der bebauten Erde [d.h., des Kulturlandes]". T. Jakobson (1976) vermutet eine Beziehung zwischen Urta und dem alten Lehnwort, "hurta/hurt", das Pflug bedeutet. "Nin-Urta" würde dann wörtlich "Herr-Pflug" bedeuten. Mit der mythischen Überlieferung über den Gott Ninurta als Kulturgründer stehen diese Deutungen in sehr guter Übereinstimmung. Sollte Ninurta tatsächlich Nimrod sein, so weist der Unterschied zwischen der sumerischen und hebräischen Version des Namens auch darauf hin, daß die Bibel sein Wesen in etwas anderer Weise sieht, als die Überlieferung der antiken Umwelt.

Der Held

Beide, Nimrod und Ninurta werden als gewaltige Kämpfer, als Helden geschildert. Das hebräische Wort "gibbor", das oben als "Gewaltiger" wiedergegeben ist, kann als "Held", aber auch als "Gewaltherrscher" übersetzt werden. Der sumerische "LUGAL-e-Mythos" (geschrieben zur Verherrlichung des Königs Gudea von Lagasch, 2141-2122 v. Chr.) schildert Ninurta als einen großen und mächtigen Krieger-König, der das gewaltige Ungeheuer in den Bergen im Osten Mesopotamiens besiegt hat:

"Krieger, er schreitet zur Schlacht, er tritt nieder (alle fallen sie vor ihm). Herr, er legt die Hand des Kämpfers an der mittu-Keule, er mäht die Genicke der Widersacher nieder wie Korn." (Zeilen 2-4)

"Ninurta, (Krieger-) König, den Enlil größer gemacht hat, als sich selbst ... er bringt Elend über das rebellische Land, überwältigt dessen große Schar." (Zeilen 12.14)

"Gott, hervorragend unter den Kriegern, [Herr], Ninurta, Krieger-König der Anunnaki-Götter, ..., du kommst über die Horde der Feinde wie Wasser, die durch einen Damm brechen." (Zeile 655)

"Krieger, du überfällst Städte, unterjochst das Hochland. (Oh) Sohn Enlils, wer ist dir gleich? Ninurta, Sohn Enlils, Krieger, wer ist wie du?" (Zeilen 667-670)

Im Mythos von "Ninurtas Überhebung und Bestrafung" (aus Ur) bezeichnet der Schöpfergott Enki Ninurta als mächtigen Helden, weil er den Amar-Anzu-Vogel (d.h. das Junge des Anzu-Vogels) besiegt hat:

"Vater Enki frohlockt für den Helden.... 'Held! Keiner deiner Gottbrüder hätte dies getan, wie im Falle des Vogels, dem deine mächtige Waffe die Flügel stutzte. Mögen die großen Götter die Macht deines Heldentums auf gebührende Weise preisen." (Zeilen 14-19)

Auch im "Ninurta-Erschemma-Dokument" wird Ninurta als Held bezeichnet:

"Wenn der Held zum Kampfe auszieht, ist er eine Flut" (Zeile 1ff)

Der große Jäger

Im alttestamentlichen Text ist dies der Aspekt der Persönlichkeit Nimrods, der ihn sprichwörtlich, legendär macht:

"Darum sagt man: Wie Nimrod, ein gewaltiger Jäger vor dem HERRN!"

Auch Ninurta ist ein außergewöhnlicher Jäger. Im "LUGAL-e-Mythos", Zeilen 129-134 erfahren wir, wie er eine Reihe mythischer Ungeheuer - die siebenköpfige Schlange, den sechsköpfigen Bock, und das Bison tötet. Sein wichtigster Gegner ist jedoch das Asakku-Ungeheuer, ein Löwen-Drache, und in Wirklichkeit ein Dämon der Krankheit, eine Chaosmacht. Im "Anzu-Mythos" ficht Ninurta gegen den riesigen Anzu-Vogel (mit Löwenkopf) und im Mythos von "Ninurtas Überhebung und Bestrafung" kämpft er gegen eine Schildkröte aus Ton, die der Gott Enki aus dem Wasser des Süßwasserozeans geformt hat. All diese Kreaturen werden heute gewöhnlich als Symbole der Chaosmächte gedeutet, die das Leben im zivilisierten Mesopotamien bedrohten.


Abb. 2: Wie die Assyrer ließen sich später auch die Perserkönige mehrfach im Kampf mit wilden Tieren darstellen. Siegel als Ionien (?) – 5. Jhd. v. Chr., heute in der Privatsammlung des biblischen Instituts der Universität Fribourg. (Foto: R. Wiskin)

Abb. 2

Ninurta lebt aber nicht nur in den Mythen als großer Jäger fort. Nicht weniger aufschlußreich ist die assyrische Tradition, die ihn als Schutzgott der Krieger und Jäger sieht. So beruft sich Tiglatpileser I. (1115-1077 v. Chr.) auf Ninurta. Wenn er Büffel, Elefanten, Löwen und Vögel jagt, so tut er dies "auf Weisung Ninurtas, der ihn liebt." Auch spätere Assyrerkönige berufen sich auf den Gott, wenn sie mit ihrer Tapferkeit bei der Jagd prahlen (Abb. 2). So sagt etwa Assurnasirpal II.:

"Die Götter Ninurta und Nergal, denen meine Priesterschaft wohlgefällt, gaben die wilden Bestien in meine Hand und wiesen mich an, sie zu jagen."

Abb. 3: Darstellung auf eisenzeitlichem Rollsiegel aus Israel zeigt Ninurta im Kampf mit dem Anzu-Vogel (nach Keel & Uehlinger 1995, S. 333).

Abb. 3
Zur Zeit des letztgenannten Herrschers, im 9. Jhd. v.Chr., steigt Ninurta zum obersten Gott in dessen Hauptstadt Kalhu auf. Assurnasirpal läßt den Ninurta-Tempel mit Abbildungen schmücken, auf denen Ninurta seinen Bogen gegen den grauenvollen Anzu-Vogel spannt. Auch auf einer Anzahl neu-assyrischer und neu-babylonischer Siegel ist der Gott dargestellt, wie er gegen mystische Kreaturen kämpft (Abb. 3).

Der Begründer der mesopotamischen Kultur

Die Völkertafel der Genesis berichtet davon, daß Nimrod eine Reihe von Städten in Sumer, dem biblischen Schinar und späteren Babylonien und in Assyrien gegründet hat. Babel ist Babylon, Erech die Stadt Uruk. Bislang ungeklärt ist die Lage des antiken Akkad. Kalne wurde mit Kullania, einer Stadt in Nordsyrien nahe Arpad (dem modernen Kullan Köy) identifiziert, jedoch ist diese Gleichsetzung eher fraglich, da Kullania nicht in Sumer lag. Albright hat statt dessen den hebräischen Ausdruck "kullana", "sie alle", ins Gespräch gebracht. Bezüglich der assyrischen Städte sind Ninive und Kelach (Kalhu), das moderne Nimrud (!), einfach identifizierbar. Rehobot-Ir heißt wörtlich übersetzt "(öffentliche) Plätze der Stadt". Da das hebräische "und" auch als "mit" übersetzt werden kann, könnte sich Rehobot-Ir auch einfach auf die Plätze der Stadt Ninive beziehen. Am rätselhaftesten ist der Name "Resen", der wörtlich übersetzt "Zaumzeug, Zügel" heißt. Keine größere Stadt ist unter diesem Namen bekannt, was natürlich nicht heißen muß, daß keine derartige Stadt existierte. Einige Forscher versuchen Resen mit Dur-Scharrukin, der Hauptstadt Sargons II. (ca. 720 v.Chr.) zu identfizieren. Eventuell, und im vorliegenden Kontext besonders interessant bietet sich aber eine vergleichbare Lösung wie im Falle Rehobot-Ir an. Lipinski vermutet, dass Resen gar keine Stadt war, sondern ein Bauwerk, das sich zwischen den Städten Niniveh und Kelach erstreckte. Resen könnte "risnu", dem akkadischen Wort für Bewässerungssystem oder Bewässerungskanal entsprechen. Vergleichbare Unterschiede in der Aussprache sind zwischen dem Hebräischen und dem Akkadischen nicht ungewöhnlich (z.B. hebr. "berek" (= Knie) -> akkad. "birku"; hebr. "pelek" (= Bezirk) -> akkad. "pilku").

Von Ninurta ist nicht überliefert, daß er Städte gründete, er wird jedoch ganz allgemein als der Begründer der mesopotamischen Kultur angesehen. Seine Verehrung erstreckt sich über die beiden Zentren Sumer/Babylon und Assyrien, wo auch Nimrod aktiv war. Ninurta wird die Errichtung eines großartigen Bewässerungssystem zugeschrieben, das dem Boden Fruchtbarkeit und dem Land Wohlstand brachte. Die Städte schützte er durch Hochwasserdeiche.

"An hunderten von Stellen errichtete er [Ninurta] Ziehbrunnen, - der Krieger war klug, er ließ den Städten gleiche Bedeutung zukommen - und die mächtigen Wasser flossen entlang der Steine." (LUGAL-e: Zeilen 352-353)

"Heute steigen diese Wasser nicht mehr von der Erde auf ins Hochland. Was früher verstreut war, sammelte er [Ninurta]. Was früher in den Sümpfen des Hochlandes versickerte, sammelte er und leitete es in den Tigris." (Zeilen 355-359)

"Er [Ninurta] ließ die Felder bunte Gerste hervorbringen, und die Bewässerungsbeete der Obsgärten Frucht zur Ernte. Er sammelte Getreide in Haufen an. Hoch über dem umgebenden Land häufte er sie auf, auf den Kais der Häfen." (Zeilen 361-362)

Zum Schutz der Städte Sumers soll er einen gewaltigen Wall errichtet haben.

"Er [Ninurta] errichtete einen Steinwall gegen das Hochland ... und stellte ihn wie einen Riegel vor dem Land, wie eine große Mauer." (Zeilen 349,351)

Der mächtige König

Die Bibel schildert Nimrod als den ersten "Gewaltigen", dessen Herrschaftsbereich sich nicht nur über die Städte Sumers, sondern auch über Teile Assyriens erstreckte.

Auch Ninurta wird als Herrscher bezeichnet. Bei seiner Rückkehr aus dem Kampf gegen das Asakka-Ungeheuer wird er durch die Götter als König gepriesen. So sagt Enlil zu seinem Sohn:

"Ninurta, König Uta-ulu [= Südsturm], erhob sein Haupt, und sein Vater, Enlil, verlieh ihm einen neuen Status, indem er (sagte): (Krieger-) König, dein erhabener Name soll noch übertroffen werden, im Himmel und auf der Erde. Herr, seßhaft, wahrlich inmitten heiliger Ämter, Überfluß (schaffend).... Oh, König der Schlacht" (LUGAL-e: Zeilen 683ff)

Auf der Basis neu-assyrischer Inschriften nimmt man an, daß die assyrischen Könige im Namen Ninurtas gekrönt wurden, da sie sich als seine Repräsentanten auf Erden betrachteten. Wurde ein König inthronisiert, so war seine erste Amtshandlung noch am selben Tag die symbolische Wiederholung des Kampfes gegen Asakku. In einem Ritualkommentar (KAR n 307) aus der Zeit Assurbanipals (668-627 v. Chr.), wurde daran erinnert, wie die Götter zuerst Ninurta die Königsherrschaft übertrugen. Der neue assyrische König sollte nun in seine Fußstapfen treten.

"Der König, der eine goldene Krone aus dem Inneren des Ekur auf seinem Kopf trägt und auf einem Thronsessel sitzt, während man ihn trägt und dann zum Palast geht, ist Ninurta, der seinen Vater gerächt hat. Die Götter, seine [Ninurtas] Väter, statteten ihn aus in Ekur: Szepter, Thron und Stab gaben sie ihm. Mit dem Glanz (melammu) des Königtums schmückten sie ihn, und dann zieht er hinaus ins Gebirge (KUR)." (Aus Maul 1991, S. 330)



Der Name Nimrod bedeutet - wie erwähnt - auf Hebräisch "Wir wollen rebellieren". Kann ein solcher Titel mit Ninurta, dem Günstling der Götter in Einklang gebracht werden? Interessanterweise berichtet auch ein Mythos aus Ur, "Überhebung und Bestrafung" (U 16900c), von einem Konflikt Ninurtas mit dem Schöpfergott Enki. Als der Held den Amar-Anzu-Vogel (das Junge des gefährlichen Anzu-Vogels) gewaltsam angreift, läßt Amar-Anzu die Tafeln des Schicksals fallen, die daraufhin zum Süßwasserozean Abzu zurückkehren. Amar-Anzu ergreift Ninurtas Hand und führt ihn zu Enki, der ihn für den Sieg über den Amar-Anzu-Vogel preist. Enki verspricht Ninurta eine angemessene Belohnung. Aber der ehrgeizige Gott stellt sich damit nicht zufrieden und schmiedet darauf feindselige Pläne gegen Enki:

"Sein [Ninurtas] Herz wendet sich großen Dingen zu. Sein Herz ist feindselig... Der Held Ninurta richtet sein Angesicht auf die ganze Welt." (Zeilen 27.29)

Ninurta erhebt seine Hand gegen Isimud, den Minister Enkis. Enki formt daraufhin eine Schildkröte aus dem Lehm des Süßwasserozeans, die gegen Ninurta kämpfen soll. Ninurta kann sie jedoch besiegen, woraufhin Enki beide, Ninurta und die Schildkröte in eine Grube wirft, aus der der Held nicht mehr entkommen kann. Befreit wird er erst, als seine Mutter Ninmenna für ihn zu Enki betet (Abb. 4).


Abb. 4: Darstellung mit Thronrat des Schöpfergottes Enki (um 2200 v. Chr.) auf Rollsiegel aus der Privatsammlung des biblischen Instituts der Universität Fribourg. (Foto: R. Wiskin)

Abb. 4

Der alttestamentliche Bericht gibt keine Information über das Motiv und den Inhalt der Rebellion Nimrods. Zum Ausdruck kommt sie lediglich in seinem Namen. Die Erklärung des Josephus (Altertümer I 4,2), wonach sich Nimrod an Gott für die große Flut rächen wollte, und in diesem Zusammenhang den Turm von Babel errichtete, um sich und sein Volk so vor künftiger Strafe zu schützen, dürfte wohl dem Wunsch entsprungen sein, das Schweigen der Bibel an dieser Stelle nachträglich mit Inhalt zu füllen.

Die Zeit, in der Nimrod und Ninurta auftreten

Die Bibel hebt Nimrod ausdrücklich als den ersten bedeutenden Herrscher nach der großen Flut hervor:]

"Und dies ist die Geschlechterfolge der Söhne Noahs: Sem, Ham und Japhet - ihnen wurden Söhne geboren nach der Flut. ... Und die Söhne Hams: Kusch und Mizrajim und Put und Kanaan. ... Und Kusch zeugte Nimrod, ..." (Genesis 10, 6.7a. 8a)

Schauen wir uns den Kontext an, in dem Ninurta wirkt, so ist er vergleichbar. Ähnlich wie im babylonischen "Enuma Elisch-Schöpfungsmythos" beginnen die Ereignisse des "LUGAL-e-Mythos" mit dem Kampf zwischen Chaos und Ordnung. Sobald das Chaos überwunden ist, etabliert sich die mesopotamische Zivilisation. Anders als in "Enuma Elisch" handelt es sich aber nicht um die ursprüngliche Schöpfung, sondern um eine Neuschöpfung, eine zweite Schöpfung, nachdem Sumer in einer verheerenden Flut vernichtet worden war. Van Dijk faßt die Ereignisfolge in "LUGAL-e" so zusammen:

"eine mythologische (vielleicht auch historische) Flut mit ihren unseligen Folgen, dann die 'neue Schöpfung', eine Reorganisation des Universums, die Erfindung der organisierten Landwirtschaft, Bewässerung und Dränage der bewässerten Felder."



Anhand einer Reihe von Parallelitäten, der Ähnlichkeit der Namen, der zeitlichen Einordnung kurz nach der großen Flut, der Bescheibung als großem Krieger und Helden, als großem Jäger und mächtigem König sowohl in Sumer/Babylonien als auch in Assyrien, als Begründer der mesopotamischen Kultur und als Rebell gegen Gott scheint es nicht unwahrscheinlich, daß der biblische Nimrod und der mesopotamische Gott Ninurta ein und dieselbe Person bezeichnen.

Was bedeutet das hinsichtlich der Bewertung des biblischen Nimrod? Prinzipiell sind verschiedene Erklärungen denkbar.

a) Eine mögliche Deutung ist, daß der alttestamentliche Schreiber bei der Zusammenstellung der Völkertafel auf mythologische Elemente zurückgegriffen hat, die in der antiken Umwelt anderenorts gebräuchlich waren. Sollte dem so sein, dann fällt die außerordentliche Zurückhaltung auf, mit der er das Nimrod/Ninurta-Thema behandelt hat. Nimrod wird zweifellos als bedeutende Persönlichkeit gewürdigt, sonderlich verehrt wird er indes nicht, und der Gedanke, Nimrod sei mehr als ein Sterblicher gewesen, ist völlig abwegig. Damit steht Genesis 10, 8-12 in krassem Gegensatz zur außerbiblischen Überlieferung. Hinzu kommt, daß der Text stilistisch mit den Mythen des Alten Orients kaum etwas gemein hat.

b) Wahrscheinlicher ist da die These, die van Dijk vertritt, der insbesondere aufgrund der für einen Mythos etwas ungewöhnlichen Datumsangabe der Ninurta-Erzählungen für die Zeit nach der großen Flut einen historischen Kern vermutet. Van Dijks Vorstellung, Ninurta sei eine personifizierte Repräsentation "des kulturellen Fortschritts der Menschheit nach der Flut", erscheint aber der antiken Tradition etwas übergestülpt und ist zudem nicht mit der Völkertafel vereinbar, die - wie immer man dazu stehen mag - in Nimrod jedenfalls eine historische Persönlichkeit sieht.

c) Bleibt eine dritte Möglichkeit: Nimrod/Ninurta war eine außerordentlich kraftvolle historische Persönlichkeit, ein Kriegerkönig, der wenige Generationen nach der großen Katastrophe der Flut die mesopotamische Hochkultur neubegründet hat. Als Ahnherr mindestens zweier bedeutender Staatengebilde, nämlich Babyloniens und Assyriens wird er später mehr und mehr vergöttlicht, ein Vorgang, der im Alten Orient durchaus Parallen hat. Zu denken wäre z.B. an den ägyptischen Pharao Amenhotep I. (1514-1493 v. Chr.), der später als Schutzgott der thebanischen Totenstadt verehrt wurde, oder den Wesir des früheren Pharaos Djoser (2630-2611 v. Chr.), Imhotep, der ebenfalls als Gott, bes. der Heilkunde und Schreibkunst, bekannt ist. Auch der ruhmreiche König von Agade, Sargon (2334-2279 v. Chr.), wurde nach seinem Tod vergöttlicht und noch bis in die Perserzeit verehrt. Ein ähnliches Beispiel aus neuerer Zeit ist vielleicht Karl der Große, der als Begründer zweier Reiche, des französischen und des deutschen ebenfalls postum zum sagenumwobenen Heiligen avancierte. Für diese Deutung Ninurtas spricht, daß seine großen Leistungen - sieht man einmal von seinem Kampf gegen die Fabelwesen ab - eher das Werk eines Menschen als das Werk eines Gottes sind. Was die von ihm besiegten Bestien anbelangt, so ist es zudem gar nicht so sicher, ob sie nicht eher symbolische Größen repräsentieren sollen, deren Deutung uns heute freilich weithin verschlossen ist, denken wir nur an das oben erwähnte Asakku-Ungeheuer.

Sollte die Interpretation Ninurtas als im Nachherein vergöttlichte historische Persönlichkeit zutreffen, so wäre die Genesis zweifellos nahe an der historischen Realität, während die außerbiblische Überlieferung im Laufe der Zeit immer mehr mythische Elemente in sich aufgenommen und den Menschen Ninurta schließlich durch den Gott Ninurta ersetzt hätte. In Bezug auf den altestamentlichen Text selbst hieße dies, daß er auf sehr alte und authentische Quellen zurückgreifen konnte.

Den Autoren erscheint diese dritte Deutungsmöglichkeit diejenige zu sein, die den zugänglichen Tatsachen am wenigsten Gewalt antut. Sie sind sich jedoch darüber im Klaren, daß eine letztendliche Auflösung der mit dem Nimrod/Ninurta-Komplex aufgeworfenen Fragen auf wissenschaftlichem Wege aller Voraussicht nach nie möglich sein wird. Es ist das Schicksal der historischer Forschung, daß niemand von uns heutigen damals dabei war. Unser Wissen ist darum unsicher und vorläufig, und es ist eine Frage der intellektuellen Redlichkeit, diese Begrenzung nicht aus dem Auge zu verlieren.



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